Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen - In Extremo in Spanien und anderswo im März 2007

29 May 2008

Wir bauen seit ein paar Tagen unseren Proberaum aus, da bot es sich schließlich an den Tourstart mit einer kleinen Grillparty zu feiern.Schließlich war die Crew hungrig, unsere gute Seele, Hausmeister Martin besorgte den Grill und Puck unser Merchandiser gab den Grund: Er wollte sich in seine demnächst zu erwartende Vaterschaft standesgemäß verabschieden. Einen Grund zum Trinken hatten wir also, aber eine Tour ohne Puck ist eigentlich ein Unding, aber bei solch wichtigen Terminen wollten wir mal ein Auge zudrücken.

Punkt Mitternacht, zu unserer traditionellen Abfahrtszeit, stand Carsten mit dem Doppeldecker vor dem Proberaum und wir konnten endlich starten: Zuerst nach Holland und Belgien, bevor es dann über Paris zu 6 Konzerten nach Spanien gehen sollte.
Erster Tag, Tilburg "013": Neeeee! Ich schiebe gerade vorsichtig den Vorhang meiner Koje zurück und was sehe ich? Die Mauer eines riesigen Parkhauses, einen schwarzen, regenwolkenverhangenen Himmel und den dazugehörigen Dauernieselregen! Sollte das etwa der erste Tourtag werden? Ich hatte keine Lust aufzustehen und mir die Stadt anzusehen, also flugs noch einmal umgedreht und darauf gewartet wie die Zeit bis zum Soundcheck endlich vergehen würde. Dann das übliche Deja Vu, irgendwann war ich hier schon mal... Klar, waren wir, nämlich ganz genau am 2.9.2005 (nicht dass ich so etwas im Kopf habe, ich musste lange blättern...)

Diese Tour sollte nun etwas kleiner ausfallen, schließlich haben wir im Ausland gewaltigen Nachholebedarf und da die Pyrotechnik in allen Veranstaltungsorten ohnehin verboten war mussten wir eben schweren Herzens darauf verzichten, ebenso wie auf einen Großteil unseres Bühnenequipments, denn es wäre ja extrem dekadent mit einem 40-Tonner durch kleine Clubs zu reisen. Aber unter dem Strich ist es natürlich immer mal wieder gut zu wissen dass die Band auch ohne diese ganzen Bühnen- und Showelemente funktioniert. Letztendlich wird eine Band ja an der Musik gemessen - und die ist entweder gut oder schlecht! Doch das "013" war für den Anfang sogar einer der größeren Läden, es gab genügend Platz auf der Bühne, die PA und das Lichtsystem waren sehr gut und somit waren alle Voraussetzungen für einen gelungenen Tourstart gegeben. Fast 900 Holländer freuten sich dass wir endlich mal wieder in ihrem Land zugegen waren und die aus Deutschland mitgereisten In Extremo-Hardcorefans sowieso. Na bitte, es geht doch auch in Holland was. Ich weiß gar nicht was die Plattenfirma immer zu meckern hat...

Zweiter Tag, Nidrum "Twilight Cafe": Oh mein Gott, wo bin ich? Durch mein Kojenfenster erkenne ich so etwas wie eine umgebaute Scheune - und ringsherum nichts. Nichts! Nichts außer Felder und Wälder! Wo ist Nidrum, was bitte schön ist das? "Komm Kay, lass uns mal in die Stadt einkaufen fahren!", grinste Basti mich an, den die gute Landluft überraschenderweise schon gegen Mittag aus dem Bett getrieben hat. Ja, guten Morgen! Es ist doch jedes Mal spannend wenn man die Nacht hindurch fährt währenddessen man mehr oder weniger schläft und sich am nächsten Morgen zaghaft zu orientieren versucht. Das "Twilight Cafe" entpuppte sich bei näherem Hinsehen jedoch als kleiner, aber feiner Saal in Familienbesitz, was zuallererst einmal gutes Catering und guten Kaffee vermuten ließ.Doch ob hier auch Leute hinfinden würden? Lebte hier überhaupt jemand? Keine Angst, es wird voll heute, grinste uns der Chef an, die kommen heute Abend alle aus den umliegenden Dörfern und aus Deutschland sowieso. Das belgische Nidrum liegt nicht weit von der Grenze entfernt, doch wird hier zumeist Deutsch gesprochen, währenddessen das Nachbardorf schon französischsprachig ist. Heute konnten wir den Tag jedenfalls entspannt angehen, da wir bis auf unser im LKW befindlichen Equipment nichts aufzubauen hatten, die Crew keine PA zu verkabeln und Lichtmann Faren kein Lichtpult zu programmieren hatte.Es erinnerte halt alles etwas an unsere Touren zu DDR-Zeiten, wo wir mit unseren Bands auch über die Dörfer getingelt waren. Ein bisschen back to the roots stand In Extremo auch mal ganz gut zu Gesicht. Am Abend schließlich war der Saal rappelvoll und wir hatten die Leute vom ersten Ton an auf unserer Seite. Aber so richtig belgisch war hier nichts, mal abgesehen vom Bier.

Dritter Tag, Paris "Elysee Montmartre": Ein Saal direkt im Herzen der Stadt, direkt in der Touristenmeile am Fuße der Sacré Coeur de Montmartre. Worüber wir natürlich glücklich waren da hatte Busfahrer Carsten Horrorvorstellungen. Einen Bus im Zentrum von Paris parken zu müssen ist definitiv kein Pappenstiel und so wurden Bus und LKW direkt vor den Club gefahren und hektisch ausgeladen, um kurze Zeit später wieder kilometerweit entfernt abgestellt werden zu können. Das "Elysee Montmartre" selbst war schon ein beeindruckender Saal mit viel Stuck an der Decke und erinnerte sehr an den Laden in Buenos Aires ein paar Wochen zuvor. Nach einem Blick auf den Terminplan gaben sich hier anscheinend die angesagten Bands die Klinke in die Hand, meistens natürlich die zur Zeit angesagten Engländer, die mit ihren 45-Minuten-Sets zu Preisen um die 30 EUR den Festlandseuropäern zeigen wollten wie man Musik macht. Hier konnte also eigentlich nichts schief gehen und wir würden nur auf ein paar Zuschauer hoffen müssen, denn die französische Abteilung der Plattenfirma hatte leider komplett versagt was Unterstützung in jedweder Form anging. Aber das kannten wir ja jetzt schon zur Genüge. Aus Deutschland zu kommen ist eben nicht überall von Vorteil 

Yellow und ich erkundeten zuerst jedoch einmal die Stadt und mit Fotoapparaten bewaffnet reihten wir uns klaglos in den unendlichen Touristenstrom ein. Es waren Menschenmassen unterwegs, doch egal: Die Sonne schien und wir hatten gute Laune. Und die ließen wir uns auch von nervenden Armbandverkäufern am Montmartre nicht versauen. Ein paar Stunden vor Konzertbeginn waren dann Dr.Pymonte und ich zur Interviewsession eingeteilt und wir überboten uns vor Lachen mit dem Beantworten der immer wieder gleichen Fragen. Heute Abend hatten wir mit Jenx auch eine Pariser Supportband mit am Start. Dank der ausgebliebenen Unterstützung durch die Plattenfirma rechneten wir eigentlich publikumsmäßig mit einem Desaster, doch unser neugegründeter französischer Fanclub war guter Dinge und reiste selbst in Mannschaftsstärke an. Jeder fängt halt mal klein an und zugegebenermaßen hatten wir ja auch Frankreich mit Konzerten bisher nicht sonderlich verwöhnt. Aber unser französischer Veranstalter, selbst In Extremo-Fan, würde dieses für die Zukunft gern verändert wissen. Ein kleiner Anfang wurde heute ja zumindest gemacht und auch die Franzosen wussten selbstredend ordentlich zu feiern!

Dann ging es rund 1000 Kilometer runter nach Spanien. Es war Montag und wir hatten ursprünglich vor den Tag in Barcelona zu verbringen, doch leider war es dort unmöglich einen geeigneten Parkplatz mit Stromversorgung zu finden. Deshalb beschlossen wir kurzerhand etwa 150 Kilometer vorher an die Küste abzubiegen und landeten schließlich in einem Ort namens Esturiabrava. Wow, willkommen im Rentermillionärsparadies! Wir landeten scheinbar in einer Enklave in der sich sonnenhungrige Alteuropäer, die zudem anscheinend den einen oder anderen Euro zuviel in der Tasche hatten, zur Ruhe setzten. Und wir schlugen hier auch noch ausgerechnet in der Vorsaison auf: Leere Hotels, eine leere Strandpromenade, tausende fest vertäute Motorboote und Segelyachten der S-Klasse machten schon einen etwas gespenstischen Eindruck. So muss es wohl auch nach dem Abwurf einer Neutronenbombe aussehen! Dazu fanden wir, außerst gereizt weil hungrig und durstig, Cafes und Restaurants in dichter Reihenfolge, die leider jedoch ausnahmslos geschlossen waren. Nach stundenlangem Suchen fanden wir schließlich doch noch eins, dazu sogar ein spanisches, welches uns mit einer gigantischen Fischplatte und Wein aus dem Holzfass entschädigte. Trotzdem waren wir froh am nächsten Morgen diesen merkwürdigen Ort wieder verlassen zu können.
Vierter Tag, Barcelona "Sala Apolo": Barcelona, na endlich! Und dazu spielten wir heute in einem Club der sich wieder direkt im Herzen der Stadt befand. "Sala Apolo", was für ein Name! Aber er hatte eine riesige Dachterasse, die wir den ganzen Tag als Open Air-Backstagebereich in Beschlag nahmen. Die Sonne brannte schon ungewöhnlich heiß, gegen Abend wurde es jedoch wieder merklich kühl und erinnerte mit Macht daran dass es doch erst Mitte März war. Wir nutzen den Tag wieder für einen ausführlichen Stadtspaziergang und Barcelona ist dafür ja geradezu geschaffen. Bis ins Hafenviertel waren es gerade einmal 20 Minuten zu Fuß, bis zur Sagrada Familia 6 Stationen mit der U-Bahn. Yellow, Flex, Morgenstern und ich starteten also durch und wir fotografierten wieder pausenlos. Beim Ansehen und Vergleichen unserer Motive stellten wir später fest dass wir eigentlich zu 95 % identische Motive hatten. Egal, wir kamen uns ohnehin die ganze Zeit vor wie eine japanische Touristengruppe.

Unsere spanische Supportband hieß heute "Noapto", aber wir hatten kaum Kontakt zu ihnen, was im eigentlichen ja nicht so unsere Art ist. Aber mit Englisch kann man in Spanien leider keinen Blumentopf gewinnen, komischerweise auch in den großen Metropolen wie Barcelona und Madrid nicht. So schrieb sich Micha vor dem Konzert einen großen Spickzettel mit ein paar spanischen Redewendungen und legte ihn aufs Schlagzeugpodest. Unser Plan ein "Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen!" dazuzukritzeln schlug leider fehl da es unmöglich ist Michas Hyroglyphen zu kopieren. Aber "Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen!", gekoppelt mit einem freundlichen "por favor" am Ende wurde zum running gag der Tour und wir bestellten fortan in jedem Restaurant und in jeder Bar in Spanien nur mit diesem einen Satz. Es funktionierte völlig problemlos und auch beim Bezahlen war dieser Satz hilfreich. "Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen!" - und schon kam die gewünschte Rechnung.
Fünfter Tag, Madrid "Sala Heineken": In der Nacht ging es weiter nach Madrid, der Laden hieß "Sala Heineken" und genauso roch er auch. Zudem war es stockdunkel und die Klimaanlage schaffte es wirklich, die Temperatur auf gefühlte 10 Grad zu bringen. Das erinnerte mich irgendwie stark an meinen ersten Kinobesuch in Singapur, wo sich die Leute freuten, dort endlich einmal ihre Winterjacken zur Schau stellen zu können. So versuchten wir halt so wenig wie möglich Zeit in diesem Schuppen zu verbringen und waren den ganzen Tag in der Stadt unterwegs, fotografierten wieder dasselbe und tranken literweise Kaffee. "Ich möchte diesen Teppich...", na, ihr wisst schon.

Sechster Tag, Santiago de Compostela "Capitol": Auf die nächste Stadt freuten wir uns schon ganz besonders, denn es ging nach Santiago de Compostela, einer mittelalterlichen Stadt in der auch der Jakobsweg, der berühmte Pilgerweg, endet. So konnte man auch durch die gesamte Stadt permanent Dudelsäckklänge vernehmen, denn Straßenmusiker konnte man hier an jeder Ecke finden. Auch einer unserer Fans machte sich zu Fuß auf den Weg zum heutigen Konzert - er kam direkt aus Italien! Eine wirklich beeindruckende Leistung.

Siebenter Tag, Gijon "Albeniz": Am nächsten Tag ging es weiter, immer die Atlantikküste entlang, nach Gijon. Gijon wurde geweissermaßen unser Heimspiel, im August letzten Jahres waren wir hier bei einem Festival zu Gast, dieses Jahr gab es ein Clubkonzert - Gott sei Dank wieder in einem Laden direkt in der City. Also machten wir uns wie an jedem Tag auf den Weg die Stadt zu erkunden und uns die Zeit zu vertreiben, was in Gijon kein Problem ist. Einzig die ausgedehnte Mittagsruhe der Spanier (hier hat in der Regel zwischen 14:00 Uhr und 17:00 Uhr alles geschlossen) nervte mittlerweile ungeheuerlich, denn am Abend hatten wir ja selbst genug zu tun. Da Gijon außerdem die Heimatstadt unseres Promoters Charles war, zudem der Laden komplett ausverkauft, war die gute Laune vorprogrammiert. Die Leute standen vom ersten Ton an Kopf.

Achter Tag, Bilbao "Santana 27": Weiter ging es an der Atlantikküste nach Bilbao, leider fast die gesamte Strecke entlang wieder im Dunklen, so dass uns die Schönheit der Landschaft hier oben im Norden Spaniens leider im Verborgenen blieb. Nur die letzten 30 Kilometer kurz vor Bilbao konnten diejenigen die nicht wie jeden Tag bis Mittags im Bett liegen blieben, den Anblick wenigstens etwas genießen. Dann ging es einmal kreuz und quer durch die Stadt und wir freuten uns schon auf unseren täglichen Rundgang, doch leider endete die Reise knapp 15 Kilometer hinter dem Zentrum in einem, ich will es mal positiv formulieren, "Industriepark". Wir befanden uns ehrlich gesagt direkt auf etwas was wie eine Müllkippe aussah. Meistens war die Gegend um die Clubs herum ja immer phantastisch gewesen, dieses Mal war das Areal räudig, dafür war aber das "Santana 27" ein Club der etwas besseren Art. Merkwürdig, denn meistens ist es ja andersrum. Die Bühne war groß, die Dusche warm und auch das Catering war okay. Leider verirrten sich heute Abend nicht allzu viele Leute ins Outback von Bilbao, was der Stimmung allerdings keinen Abbruch tat. Die 300 Fans feierten die Band wie alte Bekannte und sangen jede Textzeile von Anfang bis zum Ende mit.

Neunter Tag, Alicante/San Vicente "Sala Nave 8": Damit war die Tour auch schon fast am Ende, es folgte noch ein Gewaltritt über 800 Kilometer nach Alicante, unserer letzten Tourstation. Wieder lag der Laden etwa 10 Kilometer abseits des Zentrums, doch die Sonne schien und wir schnappten uns zwei Taxis und fuhren runter ans Meer um uns an den Strand zu legen. Techniker Adi und Yellow wagten sich sogar für ein paar Minuten ins noch kalte Mittelmeer. Nach einer etwa zehnminütigen Hafenrundfahrt, bei der wir mindestens so froren wie zuvor Adi und Yellow, ging es wieder zurück in den Club, Soundcheck und dann ab auf die Bühne! Der Veranstalter, selbst In Extremo-Fan, ließ es sich heute nicht nehmen die Band hier persönlich anzusagen. Nach dem Konzert, der Bus parkte idealerweise direkt vor der Eingangstür des Clubs, belagerten uns die neu dazugewonnenen In Extremo-Fans noch 2 Stunden lang bis zur Abfahrt und fotografierten was die Speicherkarten hergaben.

So, das war es dann auch schon im Großen und Ganzen. Es folgte eine etwas nervende Heimfahrt von 2400 Kilometern in Richtung Berlin.Und was bleibt unter dem Strich? Es hat uns unglaublich viel Spaß gemacht und wir hoffen dass wir einen guten Eindruck in Spanien hinterlassen und auch jede Menge Fans neu dazugewinnen konnten. Und rein vokabeltechnisch blieb auch etwas mehr hängen als "Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen!" Muchas gracias!