Sterneneisen Tourtagebuch Teil 3

04 Jan 2012   Kay Lutter

Verdammt! Wir haben unser Glück, Genossen! - Die Wintertour 2012

Nun, jetzt ist es also wieder so weit und ich wurde einmal mehr zum Tourtagebuchschreiben verdonnert. Ich muss ja zugeben, dass ich in diesem Jahr etwas schreibfaul war und nicht allzu viel von unseren Konzerten berichtet habe - allerdings hatte das natürlich auch seinen Grund. Ich kann an dieser Stelle jetzt schon mal ein kleines Geheimnis verraten, denn von In Extremo wird es im nächsten Jahr eine offizielle Biografie geben - und dieses Mal natürlich keine von uns selbst verfasste. By The way ist der "Spielmannsfluch" ja nun auch schon wieder ein paar Tage alt. Das Erscheinungsdatum wird irgendwann im April des nächsten Jahres sein, was wir vorher aber sicherlich noch mit großem Brimborium ankündigen werden. Haltet also die Augen offen, denn es lohnt sich!

Nun sind wir also wieder einmal mehr auf Tour und werden die nächsten Wochen dicht beieinander eingepfercht im Nightliner zubringen. Aber keine Angst, ab und an fehlt zwar dem einen oder anderen der persönliche Freiraum, aber sonst verstehen wir das ganze wie immer als eine etwas größere Klassenfahrt und haben Spaß an der ganzen Sache. Als Musiker hat man ja ohnehin wenig Lust daran, endlich einmal erwachsen zu werden und so beantwortet man ja auch Fragen wie "...und was machen sie eigentlich beruflich?" Uneingeweihten gegenüber lieber mit einem Schulterzucken.

Um auch alle Vorurteile der Nichteingeweihten zu bestätigen, ging es natürlich schon gleich beim Einsteigen mit einer Party los, denn Yellow Pfeiffer feierte heute seinen Geburtstag, während der Bus derweil schon in Richtung Schweiz, ganz genau nach Solothurn, unterwegs war. Doch bevor man in der Schweiz überhaupt spielen darf, muss man natürlich erst einmal die Grenze überqueren, was uns heute vor unüberwindliche Probleme stellte, da der Schweizer Zoll irgendwie schlecht gelaunt war. Schlecht gelaunt war sogar noch untertrieben, aber so ist es eben, wenn ein Merchandiser, der kurz vor Mittag brutal aus dem Schlaf gerissen wird und ein missgestimmter Zollbeamter aneinander rasseln. An dieser Stelle gewinnt dann meist der Uniformierte, auch wenn mir das irgendwie leid tut. Zugegebenermaßen hatte Puck, unser Merchandiser, etwas bei der Zolldeklaration übersehen, was sich wohl nur durch die Zahlung einer unglaublichen Summe aus der Welt schaffen ließ - verbunden mit einer unglaublichen hohen Kaution, versteht sich. Egal, nachdem wir bergeweise Papier ausgefüllt und unseren Obolus bezahlt hatten, durften wir schließlich doch noch, wenn auch mit gehöriger Verspätung, ins Gelobte Land einreisen.

03.12.2011, Solothurn/Kofmehl: Vor zwei Jahren, fast genau auf denselben Tag, waren wir mit unserer Akustiktour schon einmal im "Kofmehl" zu Gast und hatten es in sehr guter Erinnerung. Der Laden war ausverkauft, die Band gut gelaunt, es konnte also nichts schief gehen. Dazu kam, dass uns unser Hardcore-Fan Petra wieder besuchte - und heute mit einer Flasche edlen Wodkas im Gepäck, die sie uns spendierte, weil sie mit uns ihr 100. In Extremo-Konzert feiern wollte. Einhundert Konzerte - und das nicht nur quasi um die Ecke in Deutschland, nein, denn Petra scheute keine Mühen und Kosten, um uns sogar in Kiew, Moskau und St.Petersburg zu besuchen. Hut ab! Es gibt zwar auch Kandidaten für die weiteren Plätze, aber die werden genannt, wenn es so weit ist (...also noch mal nachzählen, Mone!) Also auch heute wieder "Ausverkauft!", die Stimmung grandios und die Band in Spiellaune. Ein paar neue Songs in der Setlist wirken manchmal Wunder, vor allem bei uns selbst. Ganz zum Schluss klebte noch eine Torte an der Wand des Backstage, die Herr Speckardt, aus welchen Gründen auch immer, wirkungsvoll platziert hatte. Aber da lag ich schon im Bett und konnte nur noch Mutmaßungen anstellen. Aber man muss kein Prophet sein um zu vermuten, dass dort in etwas größerem Rahmen gefeiert wurde.

04.12.2011, Luzern/Konzerthaus Schuur: Keine Ahnung weshalb und wieso gerade jetzt, aber mitten im Winter war in Luzern plötzlich Frühling befohlen worden und die Leute spazierten in T-Shirts am Luzerner See entlang oder lagen mitten auf der Wiese und sonnten sich. Also holte ich mein Sportzeug aus dem Bus und tat es den anderen Joggern gleich, die sich in wahren Horden am Ufer des Sees gegenseitig auswichen. Für Specki hatte der gestrige Tortenwurf noch ein kleines Nachspiel, denn er bekam noch in derselben Nacht per E-Mail eine satte Reinigungsrechnung präsentiert. Die Rechnung war natürlich ein kleiner Spaß, den sich unser Tourbegleiter Dirk am nächsten Morgen hatte einfallen lassen. Wir ließen Specki aber bis zum Konzertbeginn zappeln und amüsierten uns köstlich über Herrn Speckardts schlechtes Gewissen. Auch am zweiten Tour Tag wurde das Partyniveau gehalten, denn heute hatte mit Marco das nächste Bandmitglied Geburtstag. Wenn, dann wird bei uns aber auch richtig gefeiert! Der Herr Doktor musste allerdings Abstinenz walten lassen, denn er hatte sich bereits eine Erkältung eingefangen. Normalerweise grassiert die Tourerkältung ja erst etwa ab der zweiten Woche durch die Nightliner, aber was soll man machen? Da morgen zufälligerweise ein Montag ist, haben wir einen freien Tag und Doktor Pymonte kann sich auskurieren. Noch ein Wort zum Konzert: Das Publikum war äußerst gut gelaunt und machte es uns auf der Bühne heute Abend wirklich leicht. Und Petra feierte natürlich ihr Konzert Nummer 101!

06.12.2011, Linz/Posthof: Der Off Day wurde ohne größere Ausfälle überstanden und wir sind uns gegenseitig kaum begegnet. Im Hotel gab es einen Fitnessbereich, in dem wir es mit der Sauna maßlos übertrieben, ansonsten wagten Boris und meine Wenigkeit am Abend noch einen Gang ins Kino. Den "Gott des Gemetzels" taten wir uns an - ein blöder Titel, der auf Übles schließen ließ, aber dem war nicht so! Sehr geil! Überraschenderweise gibt es ja immer noch Klubs, in denen wir noch nicht zugegen waren, so auch hier in Linz der „Posthof“. Endlich mal wieder ein großer Laden mit großer Bühne, der unsere Herzen höher schlagen ließ. Das Publikum empfand wohl ähnlich, denn die Stimmung war super. Nicht so allerdings bei diesen beiden Vollpfosten, die man als Security vor uns in den Graben gestellt hatte und die ausgerechnet vor meinem Mikroständer im Sekundentakt ihre Mails abriefen und während ihres Jobs online Klamotten bestellten. Ich überlegte mir auf der Bühne die ganze Zeit, welch üblen Streich man diesen beiden Flitzpiepen wohl spielen könnte, doch irgendwann konnte ich mich auch darüber amüsieren. Der Herr Doktor hätte an meiner Stelle wahrscheinlich nicht so lange gefackelt, doch leider hatte er noch nicht ganz das Partyniveau erreicht. Heute mussten wir uns leider auch schweren Herzens dazu entscheiden, unser Konzert in Cottbus am zweiten Weihnachtsfeiertag abzusagen. Wer jetzt allerdings darauf spekuliert, im Tourtagebuch einen anderen Grund als den angegebenen zu erfahren, den muss ich leider enttäuschen. Persönliche Gründe sind persönliche Gründe Einzelner und die muss ich natürlich auch beim Tourtagebuchschreiben akzeptieren. Es tut mir wirklich leid.

07.12.2011, Bratislava/Majestic: Von Linz aus ging es dann direkt weiter nach Bratislava und auch das war wieder eine Premiere für In Extremo, denn wir spielten zum allerersten Mal überhaupt in der Slowakei. Obwohl das Majestic ein wirklich toller Klub ist, war das Frühstück (vor allem für unsere Crew der entscheidende Indikator für einen guten Tag) unter aller Kanone. Neben Tütenwurst und Tütenkäse türmten sich auf dem ohnehin recht übersichtlichen Buffet liebevolle drapierte Schokowaffeln, neben einer Packung Margarine, die den erwartungsvollen Namen "Perla" trug. „Perla“ wiederum war der Klebstoff, der die dunkelroten, in Plastik eingeschweißten Salamischeiben am Toastbrot festnageln sollte. Ich bin wirklich kein Vegetarier und auch allerhand gewohnt, aber das war wirklich zu viel des Guten. Allerdings wartete die absolute Höchststrafe schon links oben in der Ecke: Eine große Büchse mit löslichem Nescafe! Hier wünschte man sich wirklich einmal einen reinigenden Tsunami her. Doktor Pymonte blickte verächtlich über das verlockende Angebot und ging mit dem Satz "Ich stelle meine Waffel der Allgemeinheit zur Verfügung!" wieder ins Bett. Ich stellte meine Waffel auch der Allgemeinheit zur Verfügung und machte einen Bummel durch die Stadt, bei dem ich mich nach über einer Stunde mysteriöser weise am Hauptbahnhof wiederfand, nicht gerade dem touristischen Highlight der Stadt. Aber man sollte sich wohl wieder mehr an seinem eigenen Gefühl, denn am GPS auf dem Telefon orientieren. So übersichtlich wie das Frühstücksbuffet gestaltete sich allerdings auch der Kartenvorverkauf hier in Bratislava. Gründe für einen schlechten Ticketverkauf gibt es ja immer und es macht ja auch wenig Sinn, stundenlang darüber zu sinnieren. Augen zu und durch - und vielleicht wurde es ja auch ein unvergessenes Privatkonzert für die wenig Auserwählten. Ich schlug unserem Tourbegleiter vor, einfach die Warteschlange des Schienenersatzverkehrs der unregelmäßig verkehrenden Straßenbahn in den Klub umzuleiten, was uns ein restlos ausverkauftes Haus beschert hätte. Doch irgendwie konnte ich meinen Vorschlag nicht überzeugend rüberbringen. Am Ende wurde trotzdem alles gut - und wir gaben sogar noch ein paar Zugaben mehr als vorgesehen. In einer nahegelegenen Bar mussten anschließend allerdings noch sämtliche osteuropäische alkoholhaltige Nationalgetränke durchprobiert werden, denn unser tschechischer Fanklub und unsere neuen Fans aus der Slowakei hatten Angst, dass wir so völlig ohne bleibenden Eindruck von ihnen scheiden würden.

08.12.2011, Prag/Roxy: Einen Klub mitten in der schönsten Stadt Europas, was will man eigentlich mehr? Zumindest entschädigt wenig später diese grandiose Stadt die fensterlose Katakombe tief unter der Erde. Ich will nicht meckern, das „Roxy“ ist irgendwie ein cooler Klub, aber an das Flair hier unten muss man sich erst einmal gewöhnen. Zum Glück konnten wir den Bus direkt vor dem „Roxy“ parken und so auch noch etwas Restsonne über Tage genießen. Kurz nach dem "Frühstück" (ja, ihr wisst was ich meine: ungetoastetes Toastbrot mit Tütenwurst plus die lösliche Höchststrafe im Plastikbecher...) Egal, ab in die Stadt, hier konnte man sich überall hinsetzen. Und heute waren wirklich alle in den unterschiedlichsten Grüppchen in der Stadt unterwegs, denn das hier wollte sich niemand nehmen lassen. Selbst unsere ignorantesten Kulturbanausen (ich darf hier leider keine Namen nennen) ließ das Flair von Prag nicht kalt. Der Laden war am Abend mit etwas weniger als 400 Leuten, trotz der harten tschechischen Konkurrenz, die ausgerechnet heute hier direkt um die Ecke ihre Reunion feiern musste, ganz ansehnlich gefüllt, die Stimmung war großartig und - für uns völlig überraschend - ganz ohne des Zutuns von Fans aus Deutschland. Kein Wunder das die sich die Fahrt nach Prag heute gespart hatten, denn kurz danach ging es für 2 Tage nach Dresden. Bevor es allerdings nach Dresden ging, wurde dem Biermuseum noch ein kurzer Besuch abgestattet. Ich muss ja nicht betonen, dass sich die Öffnungszeit eines solchen Domizils ganz erheblich von den Öffnungszeiten der anderen Prager Museen unterscheidet, wenn ihr wisst was ich damit sagen will…

09. und 10.12.2011, Dresden/Schlachthof: So, ab nun konnte es richtig losgehen, denn heute in Dresden starteten wir offiziell unsere Tour mit eigener Produktion, kompletter Crew und kompletter Bühne inklusive Licht. Unser Lichttechniker Martin hatte in den letzten Tagen und Monaten in den kleinen Klubs ja mächtig zu leiden gehabt, denn entweder hingen nur drei lächerliche Funzeln unter der Decke, mit denen man zu Hause gerade einmal den Gerümpelkeller notbeleuchten würde oder es schwebte eine wahre Lampenorgie wie in Holland über der Bühne, bei der man sich fragte, ob dort noch schnell EU-Millionen ausgegeben werden mussten, ob die Techniker zu viel gekifft hatten oder ob beides zusammen kam. Anyway, ein großes Grinsen machte sich auf allen Gesichtern breit und natürlich wurde heute auch kräftig Wiedersehen gefeiert, denn ab nun war auch die Crew wieder in Mannschaftsstärke angetreten und hatte sich in dieser Form seit der Apriltour nicht wieder gesehen. Tag 1 in Dresden wurde zu unserer Zusatzshow, da der zweite Tag im Schlachthof schon seit ein paar Wochen ausverkauft war. Danke auch noch einmal dafür. Man musste sich auch erst einmal wieder an die komplette Pyrobreitseite gewöhnen, denn im Laufe der letzten Wochen hatte man sich auf den kleineren Bühnen zwangsläufig andere Lauf- und Stehplätze erkämpfen müssen. Es war alles wie am Anfang von In Extremo, wo ich mich auf dem Weg zum Mikrophon vorsichtig durch die langen Bordune von Boris und Marco manövrieren musste – nun hatten wir wieder Platz genug. Dass die Sachsen uns zwei geradezu heldenhafte Abende beschieden haben, muss ich wohl nicht noch einmal extra betonen, oder? Sachsen weiß zu feiern, ebenso wie Thüringen - und genau deshalb spielen wir gern und oft hier. Doktor Pymonte lässt sich mittlerweile bei „Vollmond“ von Backliner Adi einen Schnaps auf die Bühne bringen, was allerdings keinen Bezug zum sonstigen dramaturgischen Ablauf des Konzerts hat, außer vielleicht "voll = Vollmond". Ich glaube ich sollte aufhören darüber nachzudenken, aber zumindest sieht es gut aus und ist noch weiter ausbaufähig. Vielleicht kommt Adi im Laufe der Tour ja auch mal die rechte Bühnenseite besuchen.

11.12.2011, Suhl/CCS: Früher hieß das Ding einmal Stadthalle und ich bin auf dem Weg zu meiner Freundin jahrelang daran vorbei gefahren, ohne jemals selbst drin gewesen zu sein. Jetzt weiß ich auch warum, denn die schweren, roten Samtvorhänge und die Holztäfelung versprühen eher Parteitagsstimmung, denn dass sie darauf schließen lassen konnte, dass hier bald ein Rockkonzert stattfinden würde. Wüsste man es nicht besser, könnte man den Genossen Staatsratsvorsitzenden Honecker eben noch durch die Tür hinausgehen sehen. Ob der es allerdings überhaupt jemals bis nach Suhl geschafft hat? Wir sind vor allem deshalb in Suhl gelandet, weil wir in Thüringen auch einmal eine Alternative zur Erfurter Thüringenhalle gesucht hatten. Nun gut, so richtig rockt der Laden ja nicht. Hier fühlt sich eben nur Florian Silbereisen und Bernhardt Brink wirklich wohl und so hat Micha dieses Konzert auch einem anderen großen Thüringer gewidmet, nämlich Herbert Roth, dem Erfinder des "Rennsteiglied". Wirklich schön waren allerdings die Schildchen an den Garderoben, denn diese hießen eben nicht wie sonst einfach langweilig "Garderobe 1", "Garderobe 2", "Garderobe 3" (oder wie neulich in Prag wahrscheinlich einfach nur "Keller rechts" und "Keller links", nur eben auf Tschechisch) - nein, in Suhl heißt das ganz selbstverständlich "Stargarderobe"! Eines der besten Dinge auf einer eigenen Tour ist die eigene Cateringcrew, die uns täglich lecker bekocht. Die Gang um Yvonne und Bemme ist wirklich unglaublich und so stand schon während der ersten Tour im April dieses Jahres fest, dass sie es wieder sein müssten, die uns gourmetmäßig verwöhnen. Trotz Laufschuhen und Trainingsanzug hat das leider den großen Nachteil, dass ein Trainingserfolg bei dieser Küche nicht wirklich zu verzeichnen ist. Kurz vor Weihnachten gerät der Waschbrettbauch also in weite Ferne und so geht das nun bis kurz vor Silvester weiter. Es bleibt also wie immer bei den ewig gleichen Vorhaben für das neue Jahr. Heute wurde übrigens ein Rinderbraten gezaubert, der unseren Sebastian zu einem Kniefall hinreißen ließ, der in seiner Eleganz schon an den historischen Kniefall von Willy Brandt erinnerte. Leider klang der Konzertabend mit einer heftigen Schlägerei in der Nähe unseres Merchandisingstandes aus. Doch nicht die Schlägerei war das wirklich Bemerkenswerte, sondern dass der Wirt der Stadthalle Bier in riesigen Halbliter-Wurfgeschossen ausschenkte. Wie blöd kann man eigentlich sein?

13.12.2011, Siegburg/Rhein-Sieg-Halle: Nach einem freien Tag in Siegburg schaute ich heute Vormittag mal auf den Wetterbericht des Hotels und er steht irgendwie im krassen Gegensatz zu den vielen Bauhaus-Weihnachtsmännern, die sich natürlich auch in Siegburg wieder von diversen Balkonen und Regenrinnen abseilten: Vormittags Schauer, gegen Mittag Regen, der am Abend wieder in Schauer übergeht. Na bitte, dann kann Weihnachten ja kommen. Hätten wir heute Abend kein Konzert bzw. müssten irgendwelchen anderen Berufen nachgehen, wäre das eigentlich der perfekte Tag fürs Bett gewesen. Das hatte sich bestimmt auch unser Merchandiser Bieber gedacht, den wir großzügig in seiner 200 qm - Hotelsuite abgaben. Ja, bei In Extremo werden die Merchandiser eben noch auf Händen getragen! By the way: Unsere beiden Merchandiser Puck und Bieber haben es aber auch verdient, denn sie sind einfach das coolste Duo seit Pat und Patachon oder Stan und Olli. Der Sänger unserer Supportband Reverie durfte heute übrigens zum ersten Mal erfahren, wie man seinen Geburtstag während einer Tour feiert. Sie sind seit Dresden mit dabei und schlagen sich wacker. Immerhin gaben sie heute erst ihr viertes Konzert überhaupt!

14.12.2011, Wuppertal/Stadthalle: Mein lieber Herr Gesangsverein, was für eine Halle! Man hatte irgendwie die ganze Zeit den Eindruck, dass man im Neuen Palais im Park Sanssouci in meiner alten Heimatstadt Potsdam auftreten würde. Es fehlten eigentlich nur noch die dicken Filzpantoffeln an den Füßen, mit denen es allerdings schwer gewesen wäre, das richtige Pedal auf dem Effektbord auch nur in etwa zu treffen. Leider hielt die Stadthalle soundmäßig nicht annähernd das, was sie optisch versprach. Schon der Soundcheck ging in einem Wust von Brei unter und wir hofften auf zahlreiches Publikum. Sagen wir mal so: Es funktionierte letzten Endes schon irgendwie, aber ein guter Sound ist definitiv etwas anderes. Unser Soundmann Dirk Burke schlich nach dem Konzert etwas geknickt durch die Garderobe, aber er hatte das Maximum aus dem Saal herausgeholt. Dazu kam noch, dass zwischen Bühne und Publikum gefühlte 20 Meter Luftlinie lagen. Immer wenn man also zum Refrain rechtzeitig am Mikrofon sein wollte, musste man einen gepflegten Sprint hinlegen, was auch nicht immer so elegant aussah.

15.12.2011, Mainz/Phönixhalle: Die jährliche Bustourseuche hatte ja schon einige Opfer gefordert, heute war zum ersten Mal unser Tourbegleiter Dirk Verseck davon betroffen, unser wichtigster Mann abseits der Bühne. Am Abend kam seine Mitarbeiterin Hannah aus Bonn als Aushilfe und hatte die Sache nach kurzer Zeit wieder fest im Griff. Ich hingegen hatte heute überhaupt nichts im Griff, denn nach dem ersten Drittel des Konzertes krachte es ein paar Mal aus meinen Boxen und ich war für eine Weile faktisch außer Dienst gestellt. Dann begann die hektische Fehlersuche unserer Backlinecrew und Micha Wegewitz, seines Zeichens unser Backlinegott, standen die Schweißperlen auf der Stirn. Mir nicht weniger und ich kann mich an kein In Extremo-Konzert erinnern, bei dem ich einen solchen Totalausfall zu beklagen hatte. Also wurde als erstes der Sender gewechselt, dann sämtliche Kabel am Verstärker, am Bass und am Effektboard, der Reserveamp wurde angestöpselt, dann der zweite Reserveamp... Nix. Es lag an meinem Verzerrer, den Flex der Biegsame in einem schwachen Moment mit seinen Stiefeln unbeabsichtigt während eines Songs den Garaus gemacht hat. Egal, nach sehr, sehr langen zehn Minuten hatte unser Backliner die Sache wieder im Griff und es konnte weiter gehen. Wahrscheinlich hatte ein Großteil des Publikums von der Sache nichts gemerkt, denn Flex überbrückte die Situation sehr schnell mit einer Soloeinlage. Und wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass mir solche Dinge bei anderen Bands immer am besten gefallen, denn erst wenn man Fehler souverän überbrückt, ist auch die Band souverän.

16.12.2011, Neu-Ulm/Ratiopharm-Arena: Das wurde heute eine wirkliche Premiere, denn wir waren die erste Band, die überhaupt in dieser neuen Halle gespielt hat. Die wirkliche Hallen-Einweihung hatte für uns eine Woche zuvor leider schon Howard Carpendale übernommen, aber wir sind die ersten richtigen Krachmacher hier vor Ort. So kam es, dass uns zu früher Stunde noch die Maler in voller Montur entgegenkamen, was unseren Lichtmann zu der Frage hinreißen ließ, ob es nicht wesentlich schlauer gewesen wäre, die Maler erst nach unserem Konzert zu bestellen. Aber wir haben uns ordentlich benommen, so viel vorweg. Heute haben wir die "Flaschenpost" wieder ins Programm aufgenommen, wozu der Herr Doktor eine exorbitante Stangentanznummer auf dem Schlagzeugpodest hinlegte. Das ließ auf weitere tief versteckte Talente bei ihm schließen und wer weiß mit welchen Dingen er uns auf dieser Tour noch beglücken wird.

17.12.2011, Würzburg/s.Oliver Arena: Irgendwie befinden wir uns seit geraumer Zeit auf einer Sporthallen-Tour, was für uns schon recht ungewöhnlich ist und für einige Kollegen schwer auszuhalten, denn natürlich herrscht hier überall striktes Rauchverbot. Also eigentlich, denn ebenso vielfältig wie die Rauchverbotschilder sind natürlich die Tipps und Tricks, wie man die Rauchmelder umgeht, ohne den Raum verlassen zu müssen. Würzburg ist eine fantastische Stadt und so fuhren Boris und ich in die Innenstadt, um uns in den Weihnachtsverkaufs-Endspurt einzureihen. Auf dem Stadtring ging es zu wie zur Rush Hour, von der Innenstadt ganz zu schweigen. Auch unsere rumänischen Kollegen, besser gesagt deren Kinder, saßen hier an jeder Ecke des Boulevards und versuchten, mit klammen Fingern, ihren Akkordeons wenigstens irgendeine Tonfolge zu entlocken. Sie konnten einem einfach nur leidtun. Pymontes Stangentanz entwickelt sich so nach und nach zu einem echten Highlight, sehr passend dazu übrigens seine mittlerweile ziemlich langen Haare, die jeder von uns am Abend mal anders stylen darf. Nach Adis Rasterzöpfen gab es heute einen gepflegten Überleger, wie man ihn nur noch aus den schlimmsten 50ger Jahren-Filmen kennt. Auf der Bühne servierte ihm unser Backliner heute anstatt Schnaps einen Kaffee - und es gibt nur ein Getränk, welches der Herr Doktor mehr hasst als Kaffee!

18.12.2011, Fulda/Esperantohalle: Die nächste Sporthalle, aber nicht schlecht. Heute war wieder so ein Tag, an dem man sich nicht von der Stelle bewegen wollte. Wir hatten ordentlich Delay, denn nach ein paar Tourtagen beginnt sich, ganz wie von Zauberhand, der Tagesrhythmus umzustellen und man wacht erst gegen 14:00 Uhr auf. An sich ist das nicht weiter schlimm, aber man muss auch gar nicht erst den Versuch aufkommen lassen, sich die jeweilige Stadt anzusehen, denn ehe man die ersten 3 Tassen Kaffee getrunken und die Dusche gefunden hat, ist dann auch schon wieder die Zeit für den Soundcheck gekommen. Unsere Supportband Reverie hatte es wohl auch schon ordentlich krachen lassen und hatten die Abschiedsfeier vorverlegt, denn sie hingen noch mächtig in den Seilen. Entgegen unseren ursprünglichen Befürchtungen füllte sich die Esperantohalle dann doch sehr ansehnlich und die Stimmung war großartig. Links von mir entdeckte ich während des Konzertes plötzlich ein Mädchen mit Mundschutz und ich dachte schon, dass ich an Halluzinationen leide. So etwas kannte ich bisher eigentlich nur aus Südostasien und dort auch nur im dichten Stadtverkehr. Doch wenn man bedenkt, was uns Abend für Abend an Pyrotechnik auf die Köpfe regnet, wäre das vielleicht auch eine Idee für unser nächstes Bühnenoutfit. Pymonte erhielt heute nebenbei von Adi die Höchststrafe serviert, denn ein lauwarmer Red Bull ist wohl das Getränk, mit dem man unseren beleibten Harfengott am ehesten in die Flucht schlagen kann.

20.12.2011 Ingolstadt/Saturn-Arena: Bei unserem Gang durch die Altstadt von Ingolstadt wollten Boris und ich unseren Augen nicht trauen, denn dort in der Fußgängerzone erkannten wir doch tatsächlich unser rumänisches Akkordeonpärchen wieder, deren "Bewacher" sich als Living Dolls in einer albernen römischen Verkleidung nicht weit von den beiden postiert hatten. Ehrlich gesagt könnte ich kotzen, wenn man so leibhaftig mitbekommt, dass zumindest diese Art von Kinderarbeit auch hierzulande irgendwie funktioniert. Ich will mir kein Urteil darüber erlauben, aber dass diese beiden armen Mädchen selbst das lausige Klimpergeld nicht für sich behalten dürfen, für das sie hier den ganzen Tag arbeiten, war mehr als offensichtlich. Den freien Tag hier in Ingolstadt verschlief Band und Crew weitestgehend im Hotel, um sich dann am Abend, bei riesigen Weizenkrügen, in der Sauna zu treffen. Die Kellner scheuten auch den Gang in den Saunakeller nicht, denn die Crew hatte sehr schnell mitbekommen, dass man eigentlich nur den Notknopf drücken musste, damit Hilfe erschien. Am nächsten Tag fanden wir uns in der Saturn-Arena wieder und dieses Mal war der "Laden" sogar eine Eishockey-Arena. Na bitte, dann haben wir mittlerweile ja alle erdenklichen Massensportarten durch. Vor dem Konzert stand allerdings noch ein sehr interessantes Meet & Greet mit Karl Fall von der Welthungerhilfe an. Karl arbeitet quasi sein gesamtes Leben schon im Ausland und es verschlug ihn vor einigen Jahren nach Nordkorea. Und da er in Nordkorea (!!!) das erste Mal mit In Extremo in Berührung kam und zum Fan wurde und wir außerdem heute während seines Heimatbesuches ausgerechnet in seiner Heimatstadt Ingolstadt zu Gast waren, luden wir ihn zu seinem ersten In Extremo-Konzert ein. Für uns war das Meet & Greet schon deshalb etwas ganz besonderes, weil wir ja sonst diejenigen sind, welche die Gäste unterhalten. Heute war es eben unser Gast, dem wir an den Lippen hingen, insbesondere ja auch im Hinblick auf den Machtwechsel, der sich in Nordkorea gerade vollzieht. Seit heute haben wir übrigens eine neue Supportband mit am Start, sie heißt "Nemesea" und kommt aus den Niederlanden. Reverie und Nemesea teilen sich die Sterneneisen-Tour.

21.12.2011, Braunschweig/Stadthalle: Von Ingolstadt nach Braunschweig und einen Tag später wieder zurück nach Bayern. Das war vielleicht nicht gerade die günstigste Tourroute, aber das hat natürlich andere Gründe. Draußen herrschte Selbstmordwetter und wir versuchten so lange wie möglich im Bett zu bleiben, denn bei diesem Wetter musste man nicht unbedingt stundenlang durch Braunschweig spazieren - es sei denn man hatte noch Weihnachtsgeschenke zu besorgen, die sich im Nightliner mittlerweile an allen erdenklich freien Stellen stapelten. Auf der Fahrt nach Braunschweig wurde heute Nacht im Partybus - Entschuldigung im Crewbus - übrigens ein neues, wahrhaft ekelhaftes Mixgetränk erfunden: Wurstwasser/Wodka!!! Ich enthalte mich jeglichen Kommentars, aber es scheint einige gegeben zu haben, die ohne Probleme zugeschlagen haben. Manchmal hat man während eines Konzertes den Kopf frei und denkt sich den einen oder anderen Schwachsinn aus. Heute fiel mir eine kleine Abwandlung einer Zeile aus "Sängerkrieg" ein, die ich euch nicht vorenthalten will. Manchmal reicht ja schon die Kommasetzung und Groß- und Kleinschreibung dazu aus, um Sätze wie "...verdammt, wir haben unser Glück genossen" zu einem "Verdammt! Wir haben unser Glück, Genossen!" zu entstellen. Wahrscheinlich zeigte unser Gespräch mit Karl Fall aus Nordkorea noch ein paar Nachwirkungen, mit denen ich so gar nicht gerechnet hatte.

22.12.2011, Regensburg/Donau Arena: Heute machten wir wieder einmal mehr einer Eishockey-Mannschaft ihre Heimspielstätte abspenstig und heute war auch unser letzter Tourtag vor unserer kurzen Weihnachtspause. Es wurde auch Zeit, denn 17 Konzerte in Folge können doch ganz schön schlauchen. Die Band und Crew freut sich über eine kurze Auszeit.

27.12.2011, Kassel/Stadthalle: Da sind wir nun wieder. Chefkoch Bemme hat heute noch einmal das gehaltvolle Weihnachtsessen um riesige Portionen an Gänsekeulen verlängert. Mal sehen wie lange die guten Vorsätze im nächsten Jahr anhalten. Unser Einhorn hat heute vor der Zugabe schon einmal mit seinen sportlichen Aktivitäten begonnen und kam mit einem Roller in Schwanensee-Pose auf die Bühne gefahren, allerdings störte seine Zigarette beim Lenken etwas, was seine fahrerische Eleganz etwas trübte.

28.12.2011 Kaufbeuren/All-Kart-Halle: Eine Karthalle in einem Gewerbegebiet, ein Traum für jeden Musiker! Es war kalt wie Sau, es stank nach Abgasen, es gab zwei kalte Duschen für 37 (!!!) Leute, kurz: die Laune hatte schon am frühen Mittag ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. Da hieß es schließlich nur noch Augen zu und durch, doch interessanterweise entwickeln sich die Konzerte, die unter solchen schlechten Vorzeichen beginnen, oftmals noch zu den Highlights einer Tour. Wir hatten auf der Bühne jedenfalls viel zu lachen.

29.12.2011 Karlsruhe/Europahalle: So, nun sind wir auch schon wieder am Ende der Tour angelangt und man hat kaum noch Erinnerungen an den Tourbeginn in der Schweiz vor mehr als 3 Wochen. Der letzte Soundcheck für 2011, das obligatorische Gruppenbild mit allen Beteiligten und das war es dann auch schon fast wieder. Ab morgen müssen wir uns dann auch wieder selbst bekochen. Aber das Ganze hat natürlich auch etwas Gutes, denn man kann sich auch mal wieder über andere Dinge als nur über Musik unterhalten. Ein paar Tage Abstand voneinander tun uns sicherlich allen gut, bevor es nach spätestens 14 Tagen wieder in den Fingern juckt und man den ganzen Tourwahnsinn zu vermissen beginnt. Und dann geht im Januar der ganze Wahnsinn auch schon wieder von vorn los, dieses Mal auf die Metal Cruise in den USA mit einem kurzen Abstecher nach Mexiko/City. Vielen Dank für dieses wirklich großartige Abschlusskonzert hier in Karlsruhe. Man merkte richtig, wie der Stress bei jedem neuen Song wieder ein klein wenig von einem abfiel und man die Stimmung selbst genießen konnte. Danke für diesen riesigen Abend! Und wie es bei einem Abschlusskonzert immer so ist: Die Crew denkt sich natürlich immer einen Streich aus. Die ganze Zeit über dachte ich daran, was denn nun passieren würde. Dass heute die Catering-Crew mit Essen für jeden Einzelnen auf die Bühne kam, hatte ich schon erwartet, denn Geheimnisse bleiben bei Musikern ja selten welche. Bis wir dann nach dem Konzert, völlig fertig vom Konzert, unsere Garderoben betraten: Dort hatte die Crew während unserer Show sämtliche restliche Goldflitter-Vorräte der nächsten 10 Jahre abgeladen, in sämtliche Cases und Taschen gestopft und selbst den Boden der Dusche mit einer zentimeterhohen Goldschicht bedeckt. In diesem Sinne wünsche ich euch und uns ein goldenes 2012. Kay Lutter