Germanisches Metallinvasiönchen

15.12.2008   Kay Lutter

Na, das ging ja schon mal gut los! Immer wenn man denkt es ginge nicht schlimmer, kommt irgend jemand mit einer Botschaft um die Ecke und sticht noch einmal genussvoll in die Wunde. Heute sollte es endlich losgehen, In Extremo wären endlich wieder unterwegs. Doch bevor es richtig losgehen sollte, stand erst einmal eine kleine Clubtour unter dem vielversprechenden Namen "German Metal Invasion" auf dem Programm. Nun ja, Namen sind ja bekanntlich Schall und Rauch und so namen wir zumindest diesen nicht ganz für bare Münze. In Extremo sind schließlich In Extremo, so selbstbewusst sind wir nun mal. Wenn jemand meint dass es eines solchen Namens bedürfe, um uns im Ausland auftreten zu lassen, dann bitte! Aber noch einmal ganz von vorn:
Während wir uns wie immer kurz vor der Abreise im Puckshop, unserem bandeigenen Merchandisingladen in Berlin-Prenzlauer Berg trafen, stemmte sich unser leider oft mittelmäßiger Bundesliga-Teilnehmer Hertha BSC im Fernsehen gerade gegen die drohende Niederlage im eigenen Stadion. Wenn es mal um irgend etwas wirklich Großes ging, versagten denen die Nerven und Galatasaray Istanbul war wohl doch noch eine Nummer zu groß. Auch von einem Heimspiel konnte man bei geschätzen 40000 Türken im stadion ja nicht wirklich sprechen, aber das sollte eigenlich egal sein, wenn man an sich selbst glauben würde. Taten die aber einfach nicht! Da waren wir lieber Musiker, denn wer als Musiker nicht an sich glaubte, brauchte gar nicht erst anzutreten. Dann wurde man früher oder später eben einfach mit Nichtbeachtung bestraft. Doch die kleine Berliner Hertha wollte auch irgendwann mal beachtet werden. So wird das aber nichts, Freunde. Da halfen auch unsere hilflosen Voodooversuche und Pucks standesgemäße Verkleidung nicht weiter. Und ich gehe wohl weiterhin zu Union. Die 3.Liga ist ohnehin spannender.
Aber auch die Schalke-Fraktion innerhalb der Band, zugegebenermaßen nur eine kleine und zu vernachlässigende Größe im Bandgefüge, hatte dank einer großartigen 1:2 Niederlage im holländischen Enschede bereits Magenschmerzen, schließlich wollten wir jetzt eigentlich dorthin fahren und zumindest musikalisch ordentlich Bescheid sagen. Schalkes Niederlage war dann doch noch noch nicht das letzte an Hiobsbotschaften für den heutigen Abend, denn nach dem die Bands "Übermutter" und "Callejon" wegen Krankheit ihr Mitwirken bei der viertägigen "German Metal Invasion" bereits abgesagt hatten, kamen als Sahnehäubchen auch noch die spanischen "Mägo de Oz" mit der Botschaft um die Ecke, dass sie ihre Supportzusage ebenfalls canceln mussten. Egal, wir betrachteten die kommenden vier Konzerte einfach als warming up-Shows und freuen uns auf die "Apokalyptischen Reitern", die anscheinend nicht solche Weicheier waren. Thüringer eben - und zu Thüringen haben wir sei je her ja ein ganz besonderes Verhältnis. Im Osten gilt ja nach wie vor: "Nur der Tod entschuldigt unerlaubtes Fernbleiben!"

4.Dezember 2008, Utrecht - Tivoli: Gegen Mittag des folgenden Tages schob ich ganz vorsichtig meine Luke am Bett auf und versuchte mich zu orientieren. Die Luke ähnelte einem Bullauge und war ganz praktisch, denn man wurde nicht schon früh um 7 Uhr geweckt wie bei den blöden Vorhängen in den anderen Bussen, die man außerdem beim Umdrehen ständig mit abriss oder sich darin verwurstelte. Der Blick nach draußen lohnte allerdings nicht im Geringsten. Ich erkannte nur eine riesige Freifläche auf dem Hinterhof einer Supermarktkette, deren Leuchtreklame man im Schneeregen auch nur äußerst schemenhaft wahrnehmen konnte. Toll! Holland hatte ich irgendwie anders in Erinnerung. Gab es in Utrecht nicht auch Grachten und Hausboote? Was bitte schön war dann das hier? Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen und hoffte inständig auf eine Fata Morgana, die sich irgendwann von selbst auflösen würde. Schnell raus aus dem Bus und weg von hier! Obwohl das Wetter ja eigentlich perfekt für einen Tag im Bett war, hatte ich keine Lust mehr, mich noch einmal in die Buskoje zu verziehen. So gemütlich war es dort dann auch nicht, zumal man am ersten Tourtag immer noch den Eindruck eines eigenen Bettes, welches nicht ständig hin und her wackelt, in sich trägt. Nach gefühlten zwanzig Stunden in der Horizontale musste auch dringendst ein Kaffee her.
Ich entdeckte Pymonte Gott sei Dank im unteren Teil des Busses, der seit Stunden am Rechner saß und wir ließen uns mit einem Runner ins Tivoli fahren, welches sich überraschenderweise dann doch inmitten der schönen Altstadt von Utrecht befand. Wir waren also richtig. Die Band hantierte unterdessen schon mit riesigen Pommestüten, der einzigen Alternative die es hier zu Tütenwurst und Scheiblettenkäse gab, mit welchem man hier landesüblich die dick mit Majonayse bestrichenen wabbligen Weißbrote belegte. Toaster waren in diesem Teil Hollands noch gänzlich unbekannt, ganz im Gegensatz zu den überdimensionierten automatischen Kaffeemaschinen, mit denen man auch die Besucher im ausverkauften Olympiastadion hätte zufrieden stellen können. Egal, wir waren schließlich hier um Musik zu machen, dass der Holländer dem Frühstück im Allgemeinen keine besondere Bedeutung beimisst, war uns ja von von früheren Gastspielen bereits bewusst. Pommes und Kaffee sollten für die nächsten Tage reichen. Außerdem kannte ich niemanden, der Holland ernsthaft besuchte, um dort kulinarische Köstlichkeiten zu entdecken. Schließlich gibt es ja auch keinen Kaffee im Coffee Shop.
Ein viel größeres Problem war die kleine Bühne, denn unsere Crew versuchte gerade unser riesiges Bühnenequipment der kleinen Tivoli-Bühne anzupassen. Irgendwie musste das ganze Zeug dort hinauf, außerdem war mit den "Apokalyptischen Reitern" noch eine Band mit nicht viel weniger Gerödel angesagt. Wir waren schon mal gespannt wie weit Peitsche heute mit seiner Schaukel ausholen würde, ehe er um seine Gesundheit fürchten musste. Um das Platzproblem abzurunden, sollte uns in den nächsten zwei Tagen noch eine Supportband namens "Limbogott" begleiten, ein paar durchgeknallte Jungs aus Hamburg, die kurzfristig für "Callejon" einsprangen. Warum allerdings blieb uns schleierhaft.
Nach unseren Proben für die Sängerkrieg-Tour, die wir in einer großen Halle in Berlin ein paar Tage zuvor mit dem kompletten neuen Bühnenbild abhielten, war es für uns extrem ungewohnt, sich plötzlich wieder auf so einer kleinen Bühne wie dem Tivoli wiederzufinden. Trotzdem waren ein paar warm up-Shows nicht verkehrt, man konnte vor allem ein paar technische Unzulänglichkeiten ausmerzen um die neuen Songs souveräner über die Bühne bringen. Dass es in diesem kleinen Laden irgendwann unerträglich warm werden würde, stand völlig außer Frage. So betraten wir schließlich als dritte Band die Bühne, die uns die "Reiter" mit gefühlten 50 Grad Saaltemperatur hinterlassen hatten und spielten, als seien wir bereits drei Wochen unterwegs.

5.Dezember 2008, Haarlem - Patronaat: Am nächsten Tag ging es nach Haarlem ins Patronaat, einem modernen Klub mit großer Bühne. Heute ließ sich auch endlich mal die Sonne blicken. Schön! Sogar saubere Duschen gab es hier und kein Toastbrot! Na bitte, es ging doch! Dafür standen irgendwann die "Reiter" vor uns und beschwerten sich beim Tourleiter über ihren anscheinend völlig durchgeknallten Busfahrer, einem merkwürdigen Typen, der ständig mit einem kleinen Teddybär durch die Gegend schlich und anscheinend die Angewohnheit besaß, niemals schlafen zu wollen. Für einen Partygänger an sich eine ziemlich coole Eigenschaft, für einen Busfahrer, der eine schlafende Horde von Musikern mehrere hundert Kilometer durch die Gegend kutschieren sollte, nicht wirklich von Vorteil. Was für ein Arschloch! Als unfreiwilliger Zeuge der nicht enden wollenden Diskussion mit diesem Vogel fühlte ich mich an längst vergessene Diskussionen aus unsäglichen Tagen in diversen Berliner Jugendfreizeitheimen erinnert, wo eine komische Art von basisdemokratischer Toleranz angesagt war. Aber Busfahrer, vor allem welche die nicht schlafen wollen oder können, haben in diesem Job einfach nichts verloren. Bei uns hätte es keine solche Diskussionen gegeben, denn wir hätten so einen Typen einfach den Schlüssel weggenommen und hätten jemand anderen besorgt.
"Limbogott" mussten heute wieder eröffnen, leider nur vor knapp 30 Leuten. Ich hoffte inständig dass es nicht dabei bleiben würde und behielt Gott sei Dank recht. Allerdings war es für diese Band damit natürlich komplett sinnlos geworden, solche Opener-Shows zu spielen. Aus welch anderem Grund als dem bekannt zu werden spielte man sonst Supportshows? "Limbogott" waren an sich schon eine coole Band, allerdings verbrachten sie irgendwie mehr Zeit damit sich irgendein zweifelhaftes Image aufzubauen, als gute Songs zu schreiben. Selbst nach einer halben Stunde intensivem Zuhörens konnte man sich nur an die Optik der Band erinnern, hatte jedoch kein Riff im Ohr, mit dem man nach Hause ging, um davon seinen Freunden zu berichten.
Die "Apos" hingegen übernahmen danach souverän das Ruder und hatten ein leichtes Spiel. Dennoch waren die mittlerweile knapp zweihundert Anwesenden natürlich kein Grund zur Eintragung in die Hall of Fame, aber die "Reiter" taten so, als ob sie einen Stadiongig spielen würden. Respekt! Auch wir ließen uns nicht von den wenigen Zuschauern beeindrucken und zogen unser Programm durch, als wäre es die normalste Sache der Welt, denn schließlich waren die Leute, die das Konzert sehen wollten, wegen uns gekommen. An wem die schlechte Werbung für das Konzert und der Tour insgesamt gelegen hatte, wollten wir später klären - dieses war definitiv der falsche Ort, über solche Dinge zu spekulieren.

6. Dezember, Vosselar - Biebob: Belgien besteht, neben ein paar Festivals im Sommer, anscheinend nur aus diesem einen Klub. Ich kenne zumindest niemanden, der hier jemals woanders Erfolge gefeiert hätte. Das Biebop ist eigentlich ein ganz angenehmer Klub, wenn es denn Sommer ist und man sich nicht den ganzen Tag in dieser kleinen Bude aufhalten muss. Abgesehen vom Frühstück der Marke "Holland" ist die Besatzung ganz entspannt, was ja schon mal die halbe Miete ist. Als Musiker allerdings, besonders wenn man schon ein paar Tage kein Sonnenlicht und keine wirklich funktionierende Dusche mehr gesehen hat, ist der Klub nicht wirklich ein Leckerbissen. Um in den Backstagebereich zu gelangen, muss man direkt über die Bühne ins Kellerverlies, welches in einem zarten und lebensbejahendem Weinrot gehalten und zudem völlig zugetagt ist. Irgendwelche nichtssagenden fünftklassigen Metalbands aus Balingen/Germany grüßten ihre sechstklassigen Metallkollegen aus Leonberg bei Stuttgart mit Sprüchen aus der Grundschule - Hut ab für solchen Einfallsreichtum! Doch Gott sei Dank befanden wir uns ja auf der "German Metal Invasion" und hatten für solche Dinge nichts übrig. Vielleicht waren wir ja auch einfach zu alt für diesen Schwachsinn? Wir warteten derweil auf das Caatering in Form von Hühnchen, denn im Biebop gab es immer Hühnchen.
Der Biebop-Chef erbarmte sich schließlich jedoch unser und stellte uns sein privates Wohnzimmer als Backstage zur Verfügung, welches sich im Obergeschoss des Klubs befand. Plötzlich erschien uns auch dieser Tag als geradezu wundervoll undd steigerte die Laune um 100 Prozent plus Zusatzzahl, zudem stand ein ausverkaufter Saal ins Haus, was nach dem gestrigen Tag unseren Invasions-Zuschauerdurchschnitt in ungeahnte Höhen trieben ließ. Anyway: Die zweifelhaften "Limbogott" blieben heute in Hamburg und "In Extremo" und die "Apokalyptischen Reiter rockten das Haus, das es nur so seine Art hatte. Warum nicht gleich so? Hatte ich erwähnt dass heute Nikolaus war? Ich fand jedenfalls nichts als meine stinkenden Socken von gestern in meinen Schuhen, aber zugegebenermaßen waren meine Latschen auch nicht sonderlich geputzt.

7.Dezember, Vaureal - Le Forum: Frankreich, das Land wo Milch und Honig fließt! Endlich etwas zu essen, warme Duschen und Kultur! Ja, ganz genau, denn selbst nach drei Tagen im Bus sehnte man sich schon nach einer menschenwürdigen Behandlung. Ein paar Rühreier, ein paar saubere Handtücher und ein halbwegs funktionierender Internetanschluss - mehr braucht doch eine Band gar nicht! Und obwohl die Bühne im Le Forum (klingt doch eigentlich eher nach dem Collosseum in Rom) die kleinste Bühne der Welt war, fühlte man sich hier, ca. 50 km von Paris, doch ziemlich heimisch. Mit meiner kleinen Bluesband wäre es auf der Bühne vor zwanzig Jahren bestimmt ein Spaß gewesen, doch den Fotos an der Wand nach hatten hier vor ein paar Wochen selbst Queensryche vor 600 Leuten Platz gehabt, eine Tatsache die ich partout nicht glauben wollte.
Doch erst einmal servierte eine kampferprobte französische Matrone riesige Berge an Lasagne mit Lachs und Salat und es war äußerst schwer der resoluten Dame beizubringen, dass die Band gerade erst dem Nightliner entstiegen war und die Uhren quasi noch auf mitteleuropäischer Rock'n'Roll-Zeit eingeestellt waren. 11:30 Uhr hieß bei uns maximal frühes Frühstück und nicht gehaltvolles Mittagessen, was sie dennoch nicht davon abhielt, jedem Neuankömmling einen riesigen Teller aufzudrängen. Da der Franzose aber die Angewohnheit hat, zu jedem Mittagsmahl diverse Weinflaschen zu entkorken (und das in geradezu rasender Geschwindigkeit), war der Bann schnell gebrochen.
Danach lief alles seinen gewohnten Gang: Man versuchte auf der Bühne das Notwendigste zu platzieren und legte los. Das Le Forum war sehr gut gefüllt und es klang sogar ungewöhnlich gut. Jedes Mitglied der beiden Bands stand ja schließlich auch schon lange genug auf der Bühne, um sich in irgend einer Form selbst zu disziplinieren. Selbst wenn man das Schlagzeug direkt in Höhe des Trommelfells hat, muss man sich in irgendeiner Form damit arrangieren. Der Morgenstern und meine Wenigkeit grinsten uns einfach das Leben schön, denn heute standen wir in der zweiten Reihe hinter der Dudelsackfraktion, die den wenigen Platz für sich beanspruchte. Es gab in unseren Anfangstagen ja Konzerte, da hätte ich lieber mit einem Helm gespielt, um nicht ständig irgendwelche Dudelsackbordune an den Kopf zu bekommen. Die richtige Drehung zum richtigen Zeitpunkt lässt da auch den stärksten Gitarristen zu Boden gehen. Aber wir hatten ja in den vergangenen Jahren gelernt, auch auf solchen Bühnen miteinander umzugehen.

So, auch das Le Forum wurde zu guter Letzt auch noch geknackt, die Zuschauer gingen mit einem zufriedenen Grinsen nach Hause und wir gaben Autogramme, bis die Stifte rauchten. Dann machten wir uns mit dem Bus auf die lange Fahrt nach Zürich, dem eigentlichen Startort unserer "Sängerkrieg-Tour". Auf dem Stadtring von Paris erinnerten wir uns an die schönen Konzerte, die wir dort in der Vergangenheit gespielt hatten. Dorthin sollte die Reise auch wieder gehen, irgendwann...