Kunstraub Tourtagebuch Teil 1

30.10.2013

Sonntagabend, 23:00 Uhr, Treffpunkt am Proberaum – und schon geht es auch wieder los, als wenn nichts gewesen wäre. Und was heißt schon wieder? Die letzte Fahrt im Nightliner führte die Band zu einem letzten Konzert der Sterneneisen-Reise auf ein Festival nach Karlsruhe und auch das ist inzwischen schon knappe 11 Monate her. Doch wir sind in der Zwischenzeit, wie Kunstraub beweist, ja nicht gerade untätig geblieben. Studioarbeit und Promotionreisen sind zwar schön und gut, allerdings fehlt einem Musiker das Live-Spielen nach einer Weile doch ganz erheblich. In diesem Jahr hatte es bisher für In Extremo nur zu zwei Konzerten im Rahmen der „Full Metal Cruise“ gereicht, dazu kam noch ein Kurzauftritt in Köln beim Frühstücksfernsehen. Reichlich ungewohnt also und so saßen wir wie auf Kohlen, um endlich unser neues Programm unter die Leute zu bringen.

Lingen, Alter Schlachthof, 21.10.:
Wir starteten erst einmal zu einer kleinen Warming Up-Tour, die wir direkt vor die ersten beiden offiziellen Konzerte der Kunstraub-Tour in Köln und Hannover setzten. Unsere Wahl fiel auf Lingen im Emsland, denn dort ist ebenso die Firma EMP beheimatet, mit denen wir ab und an beim Merchandising zusammen arbeiten. Außerdem ist das Emsland eine Ecke, die wir in den letzten Jahren, bis auf Konzerte in Nordhorn und Meppen, die gefühlte Jahrzehnte zurück liegen, immer sträflich vernachlässigt haben. Der „Alte Schlachthof“ in Lingen ist ein kleiner Saal, der mit knapp 500 Zuschauern auch binnen weniger Tage bis unter die Decke ausverkauft war. Außerdem: Unser erstes Konzert nach Monaten, ein neues Programm, neue Kostüme und überhaupt. Wir waren aufgeregt wie bei unserem ersten Konzert in Leipzig vor vielen Jahren. Doch gegen Lampenfieber hilft bekanntlich nicht viel, außer vielleicht in gehöriger Schluck Rotwein, kurz bevor es dann auf die Bühne geht. Es war wie früher, das Publikum direkt in Front, jedes Gesicht und jede Reaktion war sichtbar und wir kämpften uns gemeinsam durch den ersten Song „Kunstraub“, der es rhythmisch doch einigermaßen in sich hat. Wenn man den ersten Song fehlerfrei überstanden hat, wenn sich die Plätze auf der kleinen Bühne nach ein paar Minuten so einigermaßen gefluchtet haben und man hoffentlich zum vierten Song auf Betriebstemperatur ist, dann endlich kann man auch anfangen, das Konzert selbst zu genießen und wagt den ersten intensiveren Blick ins Publikum, ohne an seinem Instrument festzukleben. Doch die Stimmung war grandios, das Publikum gab Vollgas und kannte die Texte von Kunstraub größtenteils auch schon auswendig. Beim „Spielmannsfluch“, unserem vorletzten Song im Set, hatten wir heute mit Stefan noch einen textsicheren Gastsänger am Start, der plötzlich die Bühne erklomm und Michas Gesangspart souverän von Anfang bis Ende übernahm. Im Anschluss gab es dann noch eine lange Autogrammsession, bevor wir müde den Bus zur Weiterfahrt nach Eindhoven enterten.

Eindhoven, Dynamo, 22.10.:
Der Dynamo-Klub, der sich in einer modernen Betonschüssel mit eben diesem Namen befindet, prangt unübersehbar mitten im Zentrum der Stadt, was für deutsche Städte ungewöhnlich ist, wo Kultur – und insbesondere die jenseits der sogenannten Hochkultur – gern an den Stadtrand in irgendwelche Industriegebiete geklagt wird. In Eindhoven geht man also einen anderen Weg, Respekt. Auch die Sonne störte sich nicht am Kalender und schien wie verrückt. Man beachte, es ist Ende Oktober und das Außenthermometer am Bus zeigte stolze 20 Grad an. Die Leute spazierten in T-Shirts durch die Innenstadt, die Sonnenplätze in den Cafés waren restlos überfüllt und die ganze Szenerie hatte etwas von Sommer. Im Dynamo selbst hingegen war es natürlich schwarz wie die Nacht, das übliche Klubflair eben. Drinnen musste man sich alle Mühe geben, um seine gute Laune zu behalten, denn auch das holländische Wühltischcatering, welches aus Assiettenwurst, den üblichen Käse-Scheibletten sowie halbreifen Supermarkt-Früchte, die noch eingeschweißt auf ihre Befreiung warteten, bestand, trug nicht gerade dazu bei. Wo sind all die Frau Antjes aus dem Fernsehen geblieben? Holland ist jedenfalls auf gutem Wege, England einzuholen, was schlechtes Essen angeht. Puck und Bieber, unsere beiden Merchandiser, die trotz erhöhter Partyaktivität in der Nacht jedes Mal zu den extremen Frühaufstehern in der Band gehören und spätestens gegen 8 Uhr aus den Betten fallen, hatten heute noch ein besonderes Erlebnis, denn beide wurden auf ihrem Gang durch die City in den frühen Morgenstunden kurzzeitig verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. Vielleicht passten die beiden Gestalten um diese Uhrzeit auch noch nicht so richtig in Stadtbild, dass um diese Uhrzeit vorrangig von Yuppies mit schwarzen Ledertäschchen auf dem Weg zur Bank geprägt war – oder die Niederlande sind auch nicht mehr so frei und offen, wie man ihnen gerne nachsagt. Anyway, das tat der Laune keinen Abbruch und die beiden nahmen die besondere Art der Gastfreundlichkeit mit Humor. Dass das gut besuchte Dynamo heute in der Mehrheit von deutschen In Extremo-Fans bevölkert wurde, war ja fast abzusehen, ein paar Gesichter in der Menge erkannten wir sogar aus Lingen wieder. Heute holten Micha einen kleinen Jungen mit auf die Bühne, der die ganze Zeit auf dem Kopf seines Vaters ein imaginäres Schlagzeug bearbeitet und jede Nummer von Anfang bis Ende mit Hingabe mittrommelte. Auf der Bühne war er dann nicht mehr zu bremsen und trommelte wie der berühmte Duracell-Hase um sein Leben.

Paris, Trabendo, 23.10.:
Der Klub Le Trabendo befindet sich am Rand des Parc de la Villette, in dem sich augenscheinlich ein paar Architekten mal so richtig austoben durften. Aber es gab auch schöne Dinge zu bestaunen und nicht alles war so unglücklich gewählt wie die Tatsache, dass ausgerechnet heute im Zenith, eine 5000er Halle, die sich keine 500 Meter vom Trabendo befindet, Children of Bodom spielten. Deren riesige Halle wurde abgehangen, weil sich nur 800 Leute im großen Rund herumdrückten, im wesentlich kleineren Trabendo war es dagegen bei uns mit 500 Fans rappelvoll. Es war auch schwer vorstellbar, dass in diesem Klub vor wenigen Wochen unsere Berliner Kollegen von Seeed zu Gast waren und sich zu elft auf die Bühne stapelten. Wir befanden uns ja immer noch auf unserer kleinen Warming Up-Rutsche und wollten die Konzerte im Ausland auch dazu nutzen, um uns die neuen Songs zu Eigen zu machen und vor allem auch die Brauchbarkeit der Setliste jeden Abend aufs Neue zu überprüfen. Doch in Paris lief schon alles ziemlich rund und wir konnten schon bedeutend lockerer die Bühne stürmen. Wir freuten uns natürlich besonders darüber, dass heute vor allem Franzosen im Publikum waren und sich der Name „In Extremo“ im Laufe der Zeit auch bis hierher herumgesprochen hat. Doch in solchen Momenten wird einem natürlich auch wieder bewusst, dass vielleicht der eine oder andere Song in einer Fremdsprache dem neuen Album auch ganz gut zu Gesicht gestanden hätte.

Esch/Alzette, Rockhal Club, 24.10.:
Vor fast genau einem Jahr, im Dezember 2012, haben wir hier in der Rockhal das letzte Mal gespielt, damals zusammen mit „Mr.Irish Bastard“, die wir als Supportband dabei hatten. Auf Luxemburg freute ich mich ganz besonders, denn dieser Abend hier würde mein insgesamt 2000. Konzert überhaupt sein. Angefangen hatte der ganze Wahnsinn auch vor fast genau 35 Jahren, als ich mit einer Big Band der Musikschule in einem Potsdamer Jugendzentrum, welches auf den wunderschönen Namen „Drushba“ hörte (aus dem später der berühmt-berüchtigte Glaskasten wurde), mit 13 Jahren zum ersten Mal auf einer Bühne stand. In der Rockhal gibt es zwar einen schönen Saal, doch auf der Bühne leider auch das merkwürdige Gefühl, dass das Feedback des Publikums akustisch dort oben nicht ankommt. Man sieht die Leute pfeifen, klatschen und jubeln, man hört sie aber leider nicht. Ich habe keine Ahnung woran das liegt, aber scheinbar sind auch schon andere Bands vor uns an dieser Hürde verzweifelt. So, heute wurde dann hoffentlich ein letztes Mal an der Setlist herumgedoktert, so dass wir uns morgen dann – so Gott will – einig sind.

Köln, E-Werk, 25.10.:
Das Heimspiel für unseren Sänger, was natürlich auch bedeutet, dass wir in Köln die nach Berlin wohl zweitlängste Gästeliste haben werden. Und scheinbar bedingen sich auch die Anzahl der Plätze auf der Gästeliste mit der Größe der Backstage, denn diese Erfahrung hat bestimmt jede andere Band auch schon gemacht: Je größer die Feierlichkeiten, desto kleiner der Backstage. Phänomenal! Ab heute beginnt die Kunstraub-Tour nun auch offiziell, mit neuem Bühnenbild, Pyrotechnik, mit unserer Supportband „Hassliebe“ aus Bayern und der kompletten Produktion aus Berlin. Auch unsere Cateringfirma konnten wir wieder davon überzeugen, mit uns zu reisen und wir freuten uns natürlich nicht nur über das seit Wochen ausverkaufte E-Werk in Köln, sondern auch über das Wiedersehen mit vielen Crewmitgliedern, die uns teilweise schon seit vielen Jahren begleiten. Selten habe ich bei einer Show so geschwitzt wie in diesem Laden hier, man hatte das Gefühl, dass die Basssaiten schon während des Spielens durch den Schweiß immer stumpfer wurden. Basti und Specki hatten ebenso mit der Hitze zu kämpfen, aber eine gehörige Portion Schweiß gehört eben auch dazu. Fünf Zugaben – und schon ist der ganze Zauber dann auch schon wieder verflogen. Es ist immer ein etwas melancholisches Gefühl, wenn man 90 Minuten nach Showende durch die leere Halle spaziert. Aber es ist wie im Fußball: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!

Hannover, SwissLive Hall, 26.10.:
Mein Gott, schon wieder trägt dieser Laden einen neuen Namen, das dritte Mal nun wohl schon. Die 300 km von Köln nach Berlin waren ungewohnt kurz, trotzdem erwischten einige der Kollegen, natürlich feiereibedingt, nur noch die letzten Minuten Sonnenlicht des Tages, bevor um 16:00 Uhr schon wieder der Soundcheck rief. Hannover 96 glänzte nebenan mit einer 1:4 Heimniederlage gegen den Dorfklub aus Hoffenheim und schlecht gelaunte Hannoveraner schlichen kleinlaut nach Spielende an der Halle vorbei. Zumindest einen kleinen Teil der Fans würden wir heute Abend wohl ermuntern müssen. Ich hatte es ja kommen sehen, denn heute hatten wir kaum Gäste, dafür aber einen riesigen Backstagebereich – und zwar jeder einzeln. Und Frühaufsteher Pymonte hatte es sich natürlich auch nicht nehmen lassen – wie eigentlich jeden Tag – alle Heizkörper auf 10 zu regeln, um den Kollegen einen wohligen Empfang zu bereiten. Hannover bleibt uns trotz allem irgendwie ein Rätsel. Mal ist die Stimmung großartig, mal nicht, mal kommen knapp 750 Leute (In Extremo zusammen mit Korn), dann mal wieder 2.500 (In Extremo zu Weihnachten). Wir haben wirklich keine Ahnung was da abgeht in Hannover. Allerdings war heute die Stimmung mit der in Thüringen zu vergleichen, so dermaßen ging das Publikum in dieser eher unpersönlichen Halle mit. Vielleicht geht ja doch noch was in Hannover?