Sängerkrieg Teil 1

06.01.2009   Kay Lutter

Zürich, 9.12., Schützenhaus Albisgütli: Endlich wieder auf richtigen Bühnen! Endlich wieder richtiger Krach! Endlich richtiger Sängerkrieg! So schön es hin und wieder auch ist in kleinen Klubs zu spielen, mit direktem Blick ins Auge des geneigten Zuhörers/Zuschauers, so schön war es doch auch wieder in großen Hallen unterwegs zu sein, in denen man seinen Verstärker endlich wieder in Richtung "Erbarmen" aufdrehen konnte und, wenn ich mal für die Saitenfraktion sprechen darf, nicht ständig wild gewordenen Dudelsackbordunen auf dem Weg zum Mikrofon ausweichen musste. Noch ein paar Shows in holländischen Zwergenklubs und wir hätten unsere alten Helme wohl wieder aktivieren müssen. Nach einem 700 Kilometer-Ritt von Frankreich durch Deutschland in die Schweiz, das alles in wackligen Nightlinerkojen, war ein Hotelbett nicht unangenehm - wie überhaupt ein Off Day in Zürich ja nicht die schlechteste Idee war. Boris und ich nutzen die Einladung eines Freundes zu einem kleinen Ausflug in die Berge, irrten in den falschen Schuhen auf der Suche nach Heidi etwas ziellos im Schnee herum und landeten schließlich in einer Kantine der Schweizer Armee. In der Schweiz gibt es anscheinend nichts zu essen, jedenfalls nicht am frühen Nachmittag. Da erschien uns die Armeekantine als eine wunderbare Alternative, von wegen ständiger Einsatzbereitschaft und so. Doch da hatten wir uns als ehemalige Wehr- und Waffendienstverweigerer kräftig in den Finger geschnitten: "Der Koch kommt erst um 5 Uhr", schallte es uns schon von weitem entgegen, "ihr könnt aber schon mal eure Bestellung aufgeben!" Es war gerade 4 Uhr geworden! Danke! Gott sei Dank hatten wir einen Exil-Schweizer mit dabei, der das Ganze für uns übersetzte. Nach einem Blick auf die Speisekarte, deren Gerichte ausschließlich aus sämtlich möglichen Zubereitungsvarianten von Pferdefleisch bestanden, entschieden wir uns dann doch für die Eisbecher. Die spinnen, die Schweizer! In Zürich spielten wir in diesem Jahr im "Schützenhaus Albisgütli", dessen Ambiente irgendwie an die Zelte auf dem Münchner Oktoberfest erinnerte. Aber diese riesigen Holzbuden klingen ja meist ganz anständig, was sich beim Soundcheck auch bestätigte. Der Bass ließ einem schon in der holländischen Minimaleinstellung die Hosenbeine flattern und Marco für einen kurzen Moment erblassen. Ich gab noch einmal 6 dazu und war zufrieden. Kurz darauf trat auch schon die Züricher Feuerwehr auf den Plan, die mit sichtlichem Unbehagen und einem skeptischen Blick zur Holzdecke, unsere Armada an Pyrotechnik beäugte. Doch bis auf unsere Gasanlage hatten die Kollegen ein großes Herz und genehmigten den Rest. Wenige Minuten später traf auch unsere Supportband "The Black Sheep" ein, ein paar junge Mädchen aus Köln, die ein ordentliches Brett fuhren und ein paar ordentliche Songs mit im Gepäck hatten. Ich beobachtete ihren Soundcheck vom CD-Stand eines Schweizer Plattenhändlers, der neben unserer neuen "Sängerkrieg Radio Show" auch eine CD von "The Black Sheep" im Angebot hatte. "Ist die CD denn in der Schweiz schon erhältlich? In Deutschland kommt die wohl erst im März raus!", fragte ich mit einem Blick in seinen Karton etwas ungläubig. "Nein, das ist noch die alte! Die ist von 1991! Seitdem haben die ja nichts mehr gemacht!", versicherte er mir. "Das kann ich mir irgendwie aber nicht vorstellen!", maulte ich zurück. "Die Gitarristin hat mir vorhin erzählt sie wäre 22 und die Sängerin erst 18. Das wäre ja echt mal ein Frühwerk!" Der Plattenhändler erstarrte. "Oh, wie peinlich! Dann packe ich das Zeug mal lieber wieder zusammen, ehe es Beschwerden gibt!", grinste er zurück. "Ist wohl doch die falsche Band!" Dann stiegen wir pünktlich um 21:00 Uhr auf die Bühne und legten los. Ein paar Teile des neuen Bühnenbildes waren noch in Deutschland und würden morgen erst mit der Produktion nach Graz kommen, aber das störte uns nicht im Geringsten. Wir nahmen ein paar Songs vom neuen Album mehr mit ins Programm auf und waren sichtlich aufgeregt. Sich auf alte Standards zu verlassen ist sicherlich immer der einfachste Weg beim Publikum punkten zu können, aber wir waren von dem neuen Material dermaßen überzeugt, dass wir einen Großteil der neuen Songs irgendwie in der Titelliste untergebracht hatten. Es musste eben auch mal ohne "Herr Mannelig" gehen. Das Schweizer Publikum war zahlreich erschienen, der Sound war wunderbar und wir hatten gute Laune. Die erste Stunde lief auch glatt und ohne Probleme über die Bühne, bis Michael zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort stand und vom Funkenregen eines Feuertopfes am Arm und an der Seite getroffen wurde. Micha verzog nur kurz das Gesicht und lief zur Seite, um hinter der Bühne die Crew auf sich aufmerksam zu machen, die den Sanitätern Bescheid geben sollten, aber es schien wohl doch Schlimmeres passiert zu sein. Mir schoss plötzlich unser Unglück von Mannheim vor fast 10 Jahren in den Kopf und ich ahnte die möglichen Folgen, denn Brandverletzungen sind im allerersten Moment ja kaum zu spüren. Ein Freund von mir, der zufällig in der Züricher Uniklinik arbeitet und noch zufälliger mit einem Backstagepass direkt neben der Bühne am Monitormischpult stand, telefonierte hektisch und besorgte Wundsalbe aus der Klinik, währenddessen die Sanitäter schon hektisch ihre Rucksäcke auf dem Boden ausgebreitet hatten und alle möglichen Sorten an Verbänden bereitlegten. Während der Strophen raste Micha immer wieder zurück auf die Bühne und sang, dann ging es wieder neben die Bühne und er ließ sich die Wunden behandeln und sich verbinden. Für das Publikum war es bestimmt ein merkwürdiger Eindruck, weil der Sänger ständig nach seinen Einsätzen die Bühne wieder verließ, aber bis auf diese Tatsache bekamen wohl die wenigsten Zuschauer etwas vom Geschehen mit. Bei der Zugabe mussten wir uns auf das Allernötigste beschränken und dementsprechend fielen auch die Gästebucheinträge am nächsten Tag aus. Doch einen Tag später in Graz, wo Micha mit verbundenem Oberkörper wieder durchgehend auf der Bühne stand, relativierte sich das Ganze natürlich wieder. Direkt nach der Show in Zürich ging es für Micha dann mit dem Krankenwagen in die nächste Klinik, während wir im Backstage saßen und auf gute Nachrichten hofften. Anderthalb Stunden später kam telefonisch dann eine leichte Entwarnung: Es waren böse Verbrennungen, aber es hatte im ersten Moment wohl wesentlich schlimmer ausgesehen. Mit ein paar Spritzen und mit großen Tüten voller Verbandsmaterial kam Micha ein paar Stunden später zum Tourbus und es ging weiter in Richtung Graz. Graz, 10.12., Helmut-Lizt-Halle: Kilometermäßig unterschied sich die Strecke Paris - Zürich nicht im Geringsten von der Strecke Zürich - Graz. Ein ganz schöner Gewaltakt für unseren Busfahrer Olli, während wir in den Kojen liegen und schlafen konnten. Oder auch nur so taten als ob, denn es gibt wirklich schönere Plätze als das Oberdeck eines Nightliners. Gegen Mittag wurde ich wach und schlich in die Halle, wo sich im Foyer schon eine Menge Kameraleute in einer provisorisch aufgebaute Großküche drängelten. Ich bekam von unserem Tourleiter Dirk auch gleich die Order ja nicht zu viel zu frühstücken, denn in einer Stunde ginge es los! Ach du Scheiße, das hatte ich doch tatsächlich vergessen und ich könnte wetten, dass die werten Bandkollegen das auch nicht mehr auf dem Schirm hatten. Heute wurde nämlich eine Kochsendung von RTL II aufgenommen, in der verschiedene Köche gegeneinander antraten und am Ende ein Gewinn in Form eines Restaurants in München winkte. Ich habe keine Ahnung wie das wirklich abläuft, ich sehe kaum Fernsehen und schon gar keine Kochsendungen (meine Kollegen hingegen meinen seit meinem Kücheneinsatz im Studio, dass mir zumindest diese Sendungen mal ganz gut zu Gesicht stehen würden), aber alles wartete schon wieder auf uns. Irgendwie hatten drei der noch übrig gebliebenen Köche jedenfalls die Aufgabe, für eine Band auf Tour zu kochen. Zu diesem Zweck hatte man in der riesigen Halle schon eine große Tafel aufgebaut, um die herum ein paar Kameras postiert waren. Wie intim! Schade auch dass Micha das nicht miterleben durfte, denn leider war er gerade wieder im Krankenhaus, um sich weiter behandeln zu lassen. Während wir also mitten in der Halle an einer gedeckten Tafel saßen, umgeben von Kameraleuten, Moderatoren, Kabelträgern, Beleuchtern und Köchen, baute die Crew die Bühne zusammen. Wir prosteten ihnen dabei mit edlem Rotwein zu, den Dr.Pymonte im Zehnminutentakt lautstark nachorderte. Micha kam eine Stunde später in die Halle, frisch verbunden und schon wieder mit einem Lachen auf dem Gesicht. Ich kenne ihn mittlerweile seit fast 25 Jahren und ich muss sagen, dass ich wenige Leute in meinem Leben kennengelernt habe, die sich von solchen Zwischenfällen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Micha sieht das Leben immer positiv und nach einem Blick auf seine Verbrennungen nach der Show in Graz, die Sanitäterinnen nahmen gerade den Verband ab, bewunderte ich ihn ernsthaft. Die Verbrennungen sahen übel aus, doch er stand einfach da, grinste mich an und fragte ob ich die Kamera dabei hätte um das zu dokumentieren. Hohenems, 11.12., Tenniseventcenter: Wir hatten schon gestern davon gehört, dass es in Hohenems eventuell sogar eine Sauna im Backstage geben würde. Aber heute wurden unsere Erwartungen sogar noch deutlich übertroffen, denn der Backstagebereich befand sich quasi direkt in der Sauna. Platz 1 für den besten Backstage der Welt, die Österreicher sind wohl auf lange Sicht damit nicht mehr einzuholen. Doch während ich mich unten im Cateringbereich mit dem Steuerbüro traf und ein paar offene Fragen der Buchhaltung durchgehen musste, testete die Band, allen voran die Merchandising-Crew, diverse Abartigkeiten an Aufgüssen. Besonders der Underberg-Aufguss hatte es den Merchandisern angetan, während der Doktor und Sebastian später noch einmal mit französischem Rotwein nachlegten. Ich kam gerade dazu, als eine kurze Experimentierphase mit Bier zu Ende ging, zum Glück, denn ein Bieraufguss riecht einfach nur schlimm und ich erinnerte mich an unsere Tour durch Finnland, wo Bieraufgüsse auch üblich waren. Aber die Finnen hatten damals auch Aschenbecher in der Sauna, von daher lagen sie als die eigentlichen Erfinder des Ganzen zumindest geschmackstechnisch nicht allzu weit vorn. Das Tenniseventcenter war im wahrsten Sinne des Wortes eine Tennishalle und auch unser Konzert fand in einer solchen statt. Aber wir waren hier nicht die Versuchskaninchen, denn es hingen überall Plakate von anderen Bands herum, die hier vor uns schon gespielt hatten. Aber bei diesem Backstage wäre uns wohl auch ein Eröffnungskonzert recht gewesen und so ging es quasi direkt aus dem Ruheraum auf die Bühne und danach direkt wieder in die Saune zu einem leckeren Underberg - Bordeux - Aufguss. Freiburg, 12.12., Rothausarena: Meine Herren, diese Halle war aber für unsere Zwecke reichlich überdimensioniert, so schien es jedenfalls auf den ersten Blick. Die Crew war nur noch auf Rollern unterwegs und legte auf diese Weise Kilometer um Kilometer zurück, auch unser Weg zum Catering wurde zu einem gefühlten Halbtagesausflug. Um diese Uhrzeit konnte man sich kaum vorstellen, wie in dieser Halle jemals Stimmung aufkommen sollte, aber Freiburg war für gute Stimmung immer eine sichere Bank. Und so kam es dann auch. Endlich klappte es auch mit unserem Intro auf der Leinwand, dem Reiter. Irgendwie hatte der sich in den vergangenen Tagen grundlos geweigert, auf unser Geheiß loszumarschieren. Heute nun gab er sich endlich geschlagen und gehorchte auf's Wort. Hier in Freiburg hatten wir im übrigen auch zum ersten Mal eigene In Extremo - Sängerkriegs-Becher im Angebot. Na dann Prost! Saarbrücken, 13.12., E-Werk: Der Gestank im Backstagebereich nahm langsam aber sicher unerträgliche Formen an, denn auf jedem verfügbaren Stückchen Heizungsrohr versuchten wir seit Tagen unsere Kostüme zu trocknen. Es war völlig sinnlos und irgendwann, spätestens nach der ersten Tourwoche, war man dagegen eigentlich auch immun. Das E-Werk in Saarbrücken ist eine fantastische Halle mit einer hohen Bühne, dass es hier Spaß machen würde zu spielen, war von vornherein klar. Die Damen von den Schwarzen Schafen wurden auf der Bühne auch immer lockerer und in unserem Gästebuch mehrten sich die Einträge von In Extremo-Fans, die uns zu unserer Vorbandauswahl beglückwünschten. Aber auch hinter der Bühne gaben sie langsam Vollgas. Sehr zur Freude unserer Crew waren die verschiedenen Backstageräume in Saarbrücken nämlich nicht bis zur Decke geschlossen und so konnte man faktisch jedes Wort aus den einzelnen Garderoben mithören. Zwischen unseren Backstagebereichen befand sich ein Raum mit einem großen Tisch in der Mitte, an dem es zunehmend voller und an dem auch zunehmend lauter gelacht wurde. Bis die Mädels mitbekamen, dass es eigentlich nur um sie ging und Themen wie Brustvergrößerung besonders bei der Crew beliebt waren, war der Abend auch schon wieder gelaufen. Backliner Adi, bei solchen Dingen eigentlich immer ganz weit vorne mit dabei und um Kommentare nie verlegen, versuchte derweil, unter einem riesigen Berg Decken verborgen, seine Erkältung auszukurieren. Erfreulicherweise hielt sich der Krankenstand der Band auf niedrigem Niveau, was auch daran lag, dass die meisten von uns etwas vorgesorgt hatten. Boris und ich hatten uns sogar für eine Weile an den Tropf gehängt, um uns eine gewaltige Vitamin C - Bombe einzuverleiben. Leider schaffen wir es kaum noch, nach den Konzerten runter zum Merchandising-Stand zu gehen, um Autogramme zu geben. Wir kommen von der Bühne, gönnen uns eine kleine Auszeit, streiten uns über die im Durchschnitt zwei Duschkabinen und treffen bestenfalls noch die letzten 10 Konzertbesucher am Stand. Scheinbar gilt die Regel: Je größer die Halle, desto schneller die Security, eine Tatsache, über die wir allerdings nicht besonders glücklich sind. Offenbach, 14.12., Stadthalle: Während Micha, Sebastian und ich im Tourbus noch über neue In Extremo-Ideen diskutierten, standen wir morgens um 6:00 Uhr auch schon vor der Stadthalle in Offenbach. Dabei hatten wir uns gerade erst an die 700-Kilometer-Strecken gewöhnt. Wieder mal zu wenig Schlaf, aber wenigstens würde das Bett nicht mehr ruckeln, wenn man sich jetzt in seine Koje verziehen würde. Die Stadthalle erinnerte mehr an eine Sporthalle die schon bessere Tage gesehen hatte, aber der Sound war gut und es gab keinen Grund für schlechte Laune. Oben im Backstage gab es vier verschiedene Räume für uns, also auch Platz genug für die nasse Bühnengarderobe. Am späten Mittag, wenn alle Bandmitglieder ihre Laptop am Start hatten, drang aus allen Räumen ein regelmäßiges Klatschen, was daran lag, dass alle Bandmitglieder mehr oder weniger die In Extremo-Homepage als Startseite geladen hatte, auf der auf das Sängerkrieg Akustik-Album mit einer Hörprobe hingewiesen wurde. Und die begann mit eben jenen Klatschen, dass uns jetzt in jeden Winkel des Hauses verfolgte. Wir verfolgen die Gästebucheinträge auf unserer Seite und freuen uns über Lob und Tadel. Deshalb noch einmal ein Wort zu den Wünschen nach "Herr Mannelig" und ähnlich alten Songs. Ich denke dass wir ein ausgewogenes Programm zusammengestellt haben, welches uns auch einiges Kopfzerbrechen sowie mehrer Kästen Bier (oder umgekehrt) gekostet hat. Aber bei 120 Stücken und einer neuen CD im Gepäck fällt die Auswahl zunehmend schwerer, zumal wir von vorn herein das Gewicht auf die Sängerkrieg-Songs legen wollten. Ritter Mannelig musste also für eine Weile den Löffel abgeben und hat sich vorübergehend in die Berge Norwegens zurück gezogen, wo er auf eine Nachricht von uns wartet. Hamburg, 16.12., Docks: Fangen wir mit den schlechten Nachrichten an und gehen noch einmal einen Tag zurück. Hamburg hieß erst einmal Off Day, nach 6 Konzerttagen war es auch wieder mal Zeit dafür. Doch schon ein paar Minuten nach dem Einchecken ins Hotel, ich hatte meinen Koffer noch in der Hand, erreichte mich die traurige Nachricht, dass unser alter Freund Andre Greiner Pol in der letzten Nacht infolge eines Herzinfakts gestorben war. Andre war Sänger der Berliner Band "Freygang", in die ich mit 18 Jahren eingestiegen bin und bei der ich fast 10 Jahre mit dabei war. Aber nicht nur das diese Zeit eine wichtige Erfahrung für mich als Musiker war, denn immerhin waren "Freygang" die erste wirklich große Band mit der ich auf einer Bühne stand, ich hatte dort auch unseren heutigen Techniker Vadda und Faren kennen gelernt. Micha hatte eine andere Beziehung zu "Freygang", er war ein großer Fan der Band und für ihn war die Musik der Band ein Grund dafür überhaupt erst mit dem Singen anzufangen, so dass wir uns eines Tages in Thüringen auf einer Bühne zum ersten Mal begegneten - ich als Bassist der Band, Michael als Frontmann der Supportband. Auch der Morgenstern saß bei "Freygang" eine zeitlang hinter dem Schlagzeug. Wer weiß also, ob es "In Extremo" ohne diese Band überhaupt jemals gegeben hätte... Rest in peace, Andre, wir stoßen auf dich an! Das Jahr 2008 war insgesamt ein Scheißjahr, zumindest was die Todesfälle angeht: Zuerst erreichte uns die Nachricht vom Tod der Gründerin unseres ersten Fanklubs Claudia, kurze Zeit später starb Paul Kaißer, der für uns insbesondere auf dem Wäscherschloss viele Konzerte organisiert hatte und in den Anfangstagen auch die ersten Kontakte für das Rockprojekt "In Extremo" knüpfte. Im November folgte dann mit Pyro Porzia unser Bandfotograf, der uns ebenfalls seit den Anfangstagen mit der Kamera verfolgte. Nun also Andre. Wir werden euch nicht vergessen. Doch nun zurück zum Touralltag und zu unserem Konzert in den Docks. Wir haben unser Hamburg-Konzert auf Bitten der Konzertagentur von der Sporthalle dorthin verlegt, weil dieser Laden nach Auskunft der Agentur die einzig mögliche Alternative zu einer halbvollen Hamburger Sporthalle gewesen ist. Zum Zeitpunkt der Verlegung in die Docks war dieser Laden damit noch nicht ganz ausverkauft, doch hätten wir um die Situation in diesem Schuppen gewusst, hätten wir einer Verlegung wohl niemals zugestimmt. Nicht nur dass die Docks aus allen Nähten platzten, sich niemand mehr bewegen konnte und auch die Bühne für uns viel zu klein war, hinter der Bühne sah es auch nicht viel besser aus. Selbst die Kellerräume mussten als Garderobe umfunktioniert werden. Leider war es uns auch nicht gelungen, anstelle in den Docks dafür zum Beispiel zwei Mal in der Großen Freiheit aufzutreten, denn abgesehen von der dortigen Terminplanung galten die Tickets für ein Konzert am 16.12. Wir hätten das organisatorisch in der Kürze der Zeit auch nicht hinbekommen. Was bleibt unter dem Strich? Es wurde trotzdem ein schönes Konzert für uns und die Besucher, die es in den Saal oder auf die Empore geschafft hatten, auch wenn für die In Extremo-Fans Toilettenbesuche und der Gang zum Bierstand offenbar unmöglich waren. Es gab einfach kein Durchkommen. Was ist die Konsequenz für uns als Band? Auch wenn wir mit der Diskussion natürlich erst am Anfang stehen, werden wir in den Docks nicht mehr spielen. Leider fehlt aber in Hamburg eine mittelgroße Alternative, so dass es zur Zeit für uns eigentlich nur die Möglichkeit gibt, im Sommer in den Stadtpark und im Winter nach Bremen zu gehen. Oder aber wir spielen, wie bei unserer letzten Tour, zwei Konzerte in der Großen Freiheit. Keine Ahnung... Köln, 17.12., Palladium: Heimspiel! Na ja, quasi Heimspiel, denn unser wirkliches Heimspiel findet ja erst in zwei Tagen statt. Aber da ein wichtiger Teil der Band seine Zelte hier in der Nähe aufgeschlagen hat und da wir unser Berliner Heimspiel ja schon drei Jahre zuvor als "Raue Spree" auf DVD veröffentlicht hatten, fiel unsere Wahl für die neue Produktion auf die Domstadt. Dementsprechend riesig fiel heute auch die Gästeliste aus. Bei der Wahl der Produktionsfirma stand für uns von vornherein Q-Film fest, und damit auch Uwe Flade, unser Lieblingsregisseur. Uwe ist ein Typ, der von Anbeginn an die Band geglaubt hat und z.B. auch für die Videos zu "Küss mich" und "Erdbeermund" sowie für die Aufnahmen zur DVD "Raue Spree" verantwortlich ist. Never change a winning team! Wenn solche Dinge wie DVD-Mitschnitte anstehen, ist man natürlich ultra aufgeregt und braucht auf der Bühne schon ein paar Songs mehr um locker zu werden. So war es natürlich auch heute. Wenn dann noch kleine Fehler passieren wie der Tatsache, dass sich Boris Jonglierstock heute nicht entzünden ließ, ist das natürlich um so ärgerlicher. Wir hatten uns deshalb schon kurz nach der Show dazu entschlossen, diese Szene in Berlin nachzudrehen. Schließlich lag es an der Technik und nicht an Boris Darbietung. Für den letzten Song des offiziellen Programms, dem Stück "Auf's Leben", holten wir uns heute mit Charlie Verstärkung von "The Black Sheep" auf die Bühne. Der Text passte auch perfekt zu ihrem Alter und sie brachte das Stück souverän über die Bühne. Wenn man bedenkt, dass wir "Auf's Leben" nur einmal zuvor in Hamburg geprobt hatten, dann war ihre Leistung um so beeindruckender. Für "The Black Sheep" war das Köln-Konzert ihr wirkliches Heimspiel. Neben Charlie hatten wir heute Abend übrigens mit Conny Fuchs einen weiteren Gast auf der Bühne. Conny spielte mit uns "Ai Vis Lo Lop". Zum Schluss des Sets warf der Morgenstern heute, neben seinen Schlagzeugsticks, auch ein Tom ins Publikum. Ob das jetzt zur Gewohnheit wird, weiß ich allerdings noch nicht. Aber wir hatten heute auch schon auf einem Stuhl unterschreiben müssen, deswegen wunderte ich mich über nichts mehr Bielefeld, 18.12., Ringlokschuppen: Zwischen unseren Heimspielen in Köln und Berlin gab es heute noch einen Termin im Bielefelder Ringlokschuppen. Ich ließ mich vom Runner in die Stadt fahren, um dort irgendwie die Zeit totzuschlagen. Und da war sie dann plötzlich wieder, die Weihnachtsstimmung, oder besser gesagt die Jagd auf die letzten Weihnachtsgeschenke, denn ich fand mich unversehens im Gerammel der Fußgängerzone wieder. Hatte ich etwas verpasst? Wenn man im Dezember auf Tour ist, dann verschwendet man wirklich nicht einen einzigen Gedanken an Weihnachten und ich war sogar ganz froh, dass ich das ganze Theater sogar fast schon vergessen hatte. Zu allem Überfluss boten hier in der Bielefelder Fußgängerzone an jeder Ecke osteuropäische Straßenmusiker (oder solche die sich dafür hielten) "Stille Nacht, Heilige Nacht" in den verschiedensten Tonarten dar. Ich beeilte mich so schnell wie möglich wieder weg zu kommen und freute mich auf den Soundcheck. Berlin, 19.12., Arena: Es gibt schönere Augenblicke im Leben als früh um zehn vor sechs verschlafen in seiner Heimatstadt aus dem Tourbus zu fallen. Flex nahm mich ein Stück mit dem Auto mit. Wir machten das Radio an und was lief als erstes? Richtig! In Extremo! Und das Ganze sogar mit einer groß angekündigten Werbung, bei der sich die Moderatorin ganz besonders auf halbnackte Männer mit Harfen freute. Meine Stimmung sank allerdings nach 2 Minuten wieder, da ich gerade daran denken musste, dass ich in 2 Stunden bei meinem Zahnarzt auf dem Stuhl sitzen würde. Spätestens dort war auch die Schlaflosigkeit der letzten Nacht vergessen. Zu Hause zu spielen ist immer das Allergrößte. Die Gästeliste platzte demzufolge aus allen Nähten und auch im Backstage war es so voll wie beim Schlussverkauf. Mit der dementsprechenden Geschwindigkeit leert sich auch auf zauberhafte Art und Weise der Inhalt der Kühlschränke. Gute Freunde überall, aber was tut man nicht alles? Für die Rockfraktion ging es heute schon am frühen Nachmittag im Kostüm auf die Bühne, denn wir drehten Boris Stabszene zu "Ai Vis Lo Lop" nach. Es war schweinekalt und extrem vernebelt in der Halle und man konnte sich schwer vorstellen, dass wir in wenigen Stunden hier oben stehen und schwitzen würden. Für die Mädels von "The Black Sheep" wurde es heute der letzte Abend mit uns. Da uns die eigentlich geplanten "Mägo de Oz" kurz vor Tourbeginn abgesagt hatten, verlängerten sie kurzerhand ihren Einsatz so lang es eben ging. Sie waren schon kurz vor dem Konzert sichtlich traurig. Die Absage von "Mago de Oz" war ärgerlich und wir hatten deshalb nicht wenig Mehrarbeit an der Backe, aber wir waren froh dass "The Black Sheep" und später "End Of Green" kurzentschlossen und unkompliziert für sie einsprangen. "Mägo de Oz" hatten im Oktober schon einmal zwei Spanien-Konzerte kurzfristig abgesagt, jetzt war die Toleranzgrenze eindeutig überschritten. Was soll man mit Typen anfangen, die nicht einfachste Absprachen einhielten? Wir ärgerten uns nicht weiter und ignorierten das Thema einfach. Das führte leider auch dazu, dass wir auf unserer Homepage und der Myspace-Seite immer noch "Mägo de Oz" als Support in der Werbung zu stehen hatten. Wir hatten es schlichtweg vergessen! Berlin empfing uns wie immer mit tosendem Applaus und wir gaben Vollgas. Nach den ersten Takten war schnell vergessen, dass wir zu Hause und damit extrem aufgeregt waren. Dieses Mal lief alles perfekt, alles funktionierte und die Stimmung war grandios. Dann durfte Charlie zum letzten Mal mit uns "Auf's Leben" singen. Für die Zugabe hatten wir für den heutigen Abend auch den alten "Ideal"-Klassiker "Berlin" eingeprobt. Wir alle liebten diesen Song, auch wenn er anstatt auf dem Album schließlich doch nur auf der ersten Single landete. Aber wenn "Berlin", dann in Berlin! Nach einer langen Party rief uns schließlich unser Tourbegleiter Dirk und mahnte zur Abfahrt nach Stuttgart. Stuttgart, 20.12., Schleyer-Halle: Hier nun sollten wir, zumindest zuschauertechnisch, heute alle Rekorde brechen. Der Vorverkauf an Tickets war extrem gut und die Erwartungshaltung dementsprechend. Die Stuttgarter Schleyer-Halle war in ihrer Größe schlicht beeindruckend. Ehrfürchtig schlichen wir gegen Mittag durch die Gegend und versuchten uns vorzustellen, dass alle Leute heute Abend nur wegen uns kommen würden. Nein, man gewöhnt sich nicht an dieses Gefühl und man wird auch nicht größenwahnsinnig. Vielleicht haben wir dazu schon zu viel erlebt. Man hat einfach nur Achtung. Als um 21:00 Uhr dann der Vorhang fiel, waren wir einfach nur geplättet und lachten uns an. Was für ein Augenblick! Hände bis zum Horizont! Danke Stuttgart! Und Danke für 4500 begeisterte In Extremo-Fans! München, 21.12., Zenith: Das letzte Konzert vor der Weihnachtspause! Ein letztes Mal mit "End Of Green", ein vorerst letztes Mal gegen Mittag den Vorhang am Busfenster zurück ziehen und das übliche Ratespiel veranstalten: Wo bin ich? Wie spät ist es? Doch dieses Mal war es einfach, denn hier im Zenith waren wir schon ein paar Mal. Also ab unter die Dusche und dann zum Catering, wo die Crew schon mit Weißwürsten herum hantierte. Bei aller Liebe zur Volksmusik, aber Weißwürste zum Frühstück waren mir eine Spur zu heftig. Ich wartete einfach auf den Gänsebraten, der heute zum 4.Advent im Angebot war. Doch vollgefuttert auf die Bühne zu gehen war eigentlich auch kein guter Plan. Schade eigentlich. Traurig auch dass sich die Tour schon dem Ende näherte. Man hatte sich gerade wieder an den etwas absurden Tagesablauf gewöhnt, da hieß es auch schon wieder den Hebel umzulegen und einen Gang raus zu nehmen. Aber heute noch einmal Vollgas - und schließlich kamen ja noch 4 Konzerte, unter anderem eins in der Erfurter Thüringenhalle, welches mittlerweile auch zu einer Art Heimspiel geworden ist. Trotz einiger technischer Pannen konnten wir heute in München auch punkten. Die Security hatte ebenfalls ein großes Herz, so dass sich nach dem Konzert wieder einmal die gesamte Band am Merchandisingstand versammeln konnte. Und nun: Ab nach Berlin!