Sterneneisen Tourtagebuch Teil 1

15.04.2011   Kay Lutter

Berlin, ZDF Morgenmagazin, 5.4.: Um kurz nach Fünf klingelt der Wecker. Mann, auf was hatten wir uns da bloß eingelassen? Einen Tag vor Tourbeginn gab es für In Extremo das Angebot akustisch beim ZDF Morgenmagazin aufzutreten – und wir hatten nach kurzer Diskussion zugesagt. Nach einer halben Tasse Kaffee saß ich dann auch schon mit dem Rest der unausgeschlafenen Band im Taxi. Kurz und schmerzlos also.
Wir sollten heute Morgen „Siehst du das Licht“ als Akustikvariante spielen, deswegen hatten wir auch nicht lange überlegt, auf was wir uns dort einlassen. Und abgesehen von der für Musiker völlig undiskutablen Uhrzeit sprach ja auch weiter nichts dagegen. Das ZDF ist zwar nicht gerade als Jugendsender bekannt, aber angesichts der wenigen Möglichkeiten sich überhaupt als Band im Fernsehen präsentieren zu können, sprach ja eigentlich auch nichts dagegen. Und dann auch noch unplugged.
In der Maske gab man sich alle erdenkliche Mühe mit uns und man legte dicke Puderschichten über unsere morgendlichen Falten. Danach gingen wir schnurstracks auf die Toilette, um uns das Zeug wieder aus dem Gesicht zu waschen. Ich weiß nicht wie Frauen sich so was täglich antun können. Wir waren vorher zwar nicht die Frischesten, aber unter diesem zementdicken braunem Puder sahen wir aus wie die Akteure aus „Die Mumie kehrt zurück“.
Irgendwie passierte dann eine sehr lange Zeit überhaupt nichts. Fernseh- und Videoproduktionen sind in dieser Hinsicht einfach grausam. Auf Tournee auf den abendlichen Auftritt zu warten empfinde ich schon als anstrengend, Schauspieler zu sein muss dagegen die Hölle sein – so lange man nicht Robert DeNiro heißt. Wir saßen herum und tranken einen Kaffee nach dem anderen. Das „Morgenmagazin“ wurde zu dieser Stunde aus einem anderen Studio gesendet, während wir etwas später dann in einer Art improvisiertem Kaffeehaus auftreten sollten, in dem gerade eingedeckt wurde. Es gab Kaffee und Kuchen und ich ahnte Schreckliches, insbesondere nach der Ansage, dass die Karten für diese Sendung gern an Busreiseunternehmen vergeben wurden, die den Besuch hier in ihr Tagesprogramm einbauen. Das Publikum würde gegen acht Uhr dann noch kommen.
Und dann kam das Publikum und uns stockte der Atem. Sagen wir mal so: Das ZDF hatte heute für uns eine völlig neue Zielgruppe im Visier und ich würde das Ganze mal als
„Ü 80“ beschreiben. Nein, wir haben natürlich nichts gegen ältere Leute. Aber wenn die gütig lächelnde Nonne in der ersten Reihe auch nur geahnt hätte, was wir sonst auf der Bühne so zelebrieren, dann hätte sie wohl nicht so anhaltend laut geklatscht. Egal: Gestern „The Dome“ – heute das „Morgenmagazin“ – dazwischen liegen in etwa 65 Jahre. Wenn uns das jemand vorher prophezeit hätte…
Ich will euch auch noch verraten wie das Spektakel ausging, für das wir so früh aufgestanden sind: Das Morgenmagazin endet pünktlich um 9:00 Uhr, um 8:55 Uhr waren wir schon an der Reihe, das heißt, dass unser Auftritt zuvor noch mit einem kurzen Interview der netten Moderatorin eingeleitet werden sollte. Die Digitaluhr zeigte 8:57 Uhr, als unsere Moderatorin zu einer weiteren Frage ausholte, während im Hintergrund bereits heftig mit den Armen gewedelt und panisch auf die Uhr gezeigt wurde. Um 8:58 Uhr begannen wir mit den ersten Takten von „Siehst du das Licht“ und schafften es gerade so, uns bis zum Mittelteil vorzuarbeiten, ehe dann auch schon die Nachrichten begannen. Ich zumindest hätte gern weiter geschlafen, auch wenn ich so natürlich den kürzesten Fernsehauftritt aller Zeiten verpasst hätte.

Köln, E-Werk, 6.und 7.4.: Endlich wieder auf Tour! Ich konnte mich schon gar nicht mehr daran erinnern, was es heißt, mit der ganzen Band knappe 4 Wochen wieder auf engstem Raum zusammen seine Zeit zu verbringen. Die letzte Tour lag ja auch schon mehr als ein Jahr zurück und die paar Konzerte zwischendurch zählen nicht. Dieses Mal starteten wir mit 2 Nightlinern, den insgesamt hat sich der gesamte Tross auf merkwürdige Art und Weise auf 31 Leute erweitert.
In Köln erwartete uns das E-Werk – und das bei schönstem Sommerwetter. Aber wir waren ja nicht hier um faul in der Sonne zu liegen, sondern heute begann die Sterneneisen-Tour gleich mit einem Zusatzkonzert. Als erstes mit dem Zusatzkonzert zu beginnen war zwar ein komisches Gefühl, aber wir bildeten uns ein, heute - vor nicht ganz ausverkauftem Haus -vielleicht nicht ganz so aufgeregt zu sein wie sonst, wenn man zum allerersten Mal mit neuer Show und neuen Songs unterwegs ist. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir haben uns geirrt. Es lief zwar alles glatt, aber die Anspannung war denkbar hoch und bei jedem Song zu spüren. Morgen würde das sicherlich schon alles etwas cooler ablaufen.
Am nächsten Tag gingen Boris und ich erst einmal in die Sauna, um ganz klassisch bei den ersten intensiven Sonnenstrahlen einzuschlafen und mit einem perfekten Sonnenbrand in die Halle zum Soundcheck zurückzukehren. Der Neid der Kollegen auf unseren Ausflug hielt sich in Grenzen. Während des Soundchecks tauchten plötzlich auch noch die „Beatsteaks“ auf, die heute direkt geradeüber bei Harald Schmidt zu Gast waren.
Nachdem unsere Supportband „Fiddler’s Green“ für absolut grandiose Stimmung sorgten, ging es dann erneut auf die Bühne – und dieses Mal waren wir deutlich entspannter. Das E-Werk war heute restlos ausverkauft und man ahnte nach den ersten Takten bereits, dass der Schweiß hier noch von der Decke tropfen sollte.

Gießen, Hessenhalle 8.4.: Aus irgendeinem Grund war ich heute wirklich früh auf den Beinen: Eindeutig senile Bettflucht! Um kurz nach neun trifft man um diese Uhrzeit eigentlich nur auf die Crew und steht den Leuten dann meist etwas hilflos und verpeilt im Weg herum. Die Trucks werden entladen, die Gerüste gestellt und die Leute vom Catering haben alle Hände voll zu tun, um mit Kaffee und Rührei hinterher zu kommen. Als Musiker fühlt man sich da schnell fehl am Platz und wird zumeist mit den Worten begrüßt: „Na, kannste nicht schlafen?“ begrüßt. Der einzige Frühaufsteher bei In Extremo ist ansonsten nur noch Dr.Pymonte, der sich nach einem Frühstück aber meist wieder in den Bus verzieht und sich mit Schlafen die Zeit vertreibt. Ich hingegen wollte das Schicksal und meinen Sonnenbrand heute ein weiteres Mal herausfordern und hatte beschlossen joggen zu gehen.
Was nimmt man sich nicht alles vor, um die lange Zeit bis zum Konzert zu überstehen: Lange liegengebliebene Mails zu beantworten, Bücher zu lesen (mein ganzer Koffer ist voll davon), Sport zu treiben… nur um dann irgendwann doch vor dem Videobildschirm zu sitzen, um zwischen Pest und Cholera auszuwählen. Musiker zählen bei den Busunternehmen anscheinend nicht zu den Schöngeistern, dementsprechend fiel auch das Filmprogramm auf der riesigen Festplatte aus. Ich zwang mich dann doch zu einem Lauf immer an der Lahn entlang und traf dann überraschenderweise irgendwann auf Boris, der wohl dasselbe Problem hatte. „The Day After Tomorrow“ muss echt nicht sein…
Die Kollegen von „Fiddler’s Green“ kamen nach ihrem Konzert schweißgebadet von der Bühne und ich ahnte, dass wir wohl schon zu früh geschwitzt hatten, denn hier gab es die Sauna kostenlos. Auf der Bühne herrschten trotz der großen Halle schon jetzt gewaltige Temperaturen und als ich mich mit Flex dem Biegsamen beim „Sängerkrieg“ wie immer vor dem Mikrophon traf, gab es von der Lycopodiumanlage auch noch den Aufguss für umsonst. Die Haut brannte und der Goldflitter vom ersten Song der Zugabe klebte an allen Poren, an den Instrumenten und in jeder Ritze des Kostüms, aber wir hatten die Hütte wohl in den Boden gerockt. Viel länger als unsere zwei Stunden auf der Bühne hätte aber wohl niemand ausgehalten.

Ludwigsburg, Arena, 9.4.: Es ist erst der vierte Tag auf Tour, doch es fühlt sich an, als sei man bereits seit 3 Wochen unterwegs. Auf dieser Tour haben wir sogar eine eigene Catering-Firma mit dabei und die geben sich wirklich alle Mühe, dass wir nicht vom Fleisch fallen. Ich vermute ja jetzt schon, dass die meisten von uns eher zu- als abnehmen werden, wenn das so weiter geht.
Die Sterneneisen-Tournee führt uns durch ein paar Orte, an denen wir noch nicht gespielt haben, auch wenn es nur sehr wenige sind. Gießen und Ludwigsburg gehören dazu. Die Arena war eigentlich wohl eine große Sporthalle mit Rängen (ich habe allerdings keine Ahnung wer hier spielt), dementsprechend kurz fiel auch unser Soundcheck aus. Ohne Publikum in der Halle machte das einfach keinen Sinn. Beim Konzert sah das schon wieder deutlich besser aus, auch wenn unser Tontechniker Vadda von einem Fan einen Zettel bekam, auf dem stand: „Ist euch eigentlich schon mal aufgefallen, dass der Bass so laut ist, dass die anderen Instrumente gar nicht zu hören sind?“ Ich fühle mich da zwar nicht wirklich angesprochen, habe mir aber den Zettel von Vadda geschnappt, der seit dem auf meinem Verstärkercase klebt…

Zürich, Volkshaus, 10.4.: Aber Hallo! Nachdem die Bustüren aufgingen, standen wir direkt in der prallen Sonne. In der Schweiz hatte also völlig überraschend der Sommer schon Einzug gehalten, so dass man wenig Lust darauf hatte, in den kleinen Backstagebereich des Volkshauses zu gehen, der sich zudem im Keller befand. Gerüchteweise gibt es direkt am Züricher See eine phantastische Sauna, mit Blick auf die Berge und Abkühlung direkt im See. Leider kannte niemand der Einheimischen dieses Ding und so riefen wir unseren Saunaexperten Rollo an, seines Zeichens einer unserer Truckfahrer. Rollo macht das nun schon so lange, dass er das perfekte Auskunftsbüro für die örtlichen Attraktionen ist.
Da der Rest der Band (also 5/7tel) wie immer noch schlief, fuhr ich wie immer mit Boris zusammen dorthin. Es war einfach großartig: Die Sauna befand sich auf einer Plattform direkt auf dem See und aus dem Saunaraum selbst hatte man einen prächtigen Blick auf den See und die Berge im Hintergrund. Einfach Wahnsinn.
Es wird ja auch mal Zeit, dass ich etwas über unser eigentliches Anliegen, die Musik, schreibe. Aber das ist immer so selbstverständlich, dass es ein wenig untergeht. Wir hatten uns vor Tourbeginn dazu entschlossen, möglichst viel von der neuen CD zu spielen, auch auf die Gefahr hin, dass die neuen Songs noch nicht allzu bekannt sind. So fanden mit 9 Songs ungewöhnlich viele neue Lieder ihren Weg auf die Setlist und wir werden von Tag zu Tag eingespielter. Irgendwann wird es schwierig die Songs zusammenzustellen, denn man freut sich ja zunächst einmal am meisten über die neuen Stücke, die noch Ecken und Kanten haben, die noch abgeschliffen werden müssen. Erstaunlicherweise macht es jedoch beim Publikum kaum einen Unterschied.

So, jetzt geht es weiter in eine meiner absoluten Lieblingsstädte - nach Wien. Und wir haben dort sogar einen Tag frei! So verabschiede ich mich bis zur nächsten Woche. Lutter