Wodka gut für Tralala - Moskau im Februar 2007

28.05.2008

Einer der leider, oder gar zu recht (???) unveröffentlicht gebliebenen Songs unserer grandios gescheiterten Punkrockkapelle Tausend Tonnen Obst trug den bezeichnenden und vielversprechenden Namen "Wodka gut für Tralala". Warum weiß ich nicht mehr. Und obwohl fast jeder von uns Musikern schon mal irgendwie durch Russland getourt war, welches damals noch unter der Bezeichnung Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken oder einfach Sowjetunion firmierte, war es trotz allem nicht so dass wir die russischen Sitten komplett übernommen hätten, nur weil die kleine DDR solch ein inniges Verhältnis zum großen Bruder zu pflegen versuchte. Nein, Wodka war selbst in Musikerkreisen nur Mittel zum Zweck und ein probates Mittel um ertwas frühzeitiger aus dem Leben zu scheiden: Kurz und schmerzlos.

Bis zur Maueröffnung gab es die berühmt-berüchtigten Touren in dieses Land, die aber eher den dort entlang der Erdgastrasse arbeitenden Deutschen galten als den Russen selbst. So hieß es früh um 6.00 Uhr mit der Nachtschicht saufen und am Abend um 18:00 Uhr mit der Frühschicht. So kannte fast jeder von uns die unglaublichsten Geschichten bei denen dieses Getränk eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Und zum Schluss: Wodka heißt ja nicht, ins Deutsche übertragen, einfach nur harmlos "Wässerchen"! ...so Lutter, nun ist aber auch gut mit langen Schachtelsätzen und Märchenstunde- ab zur Tourstory!
Wie bereits angedeutet bilden Wodka und Russland seit Jahrzehnten eine unheimliche Symbiose, eine Tralala-Symbiose gewissermaßen, warum sollte es auch ausgerechnet heute anders sein? Abflug also am 17.2.07 vormittags vom Weltflughafen Berlin - Schönefeld. Das war ein Tag vor dem Konzert - ich betone ausdrücklich VOR dem Konzert, denn ob dieses unsere beste Idee war wage ich im Nachhinein zu bezweifeln. Off days haben ja eine ganz ähnliche hohe Durchschlagskraft bei Musikern, eigentlich zur Erholung gedacht, erreicht man mit diesen freien Tagen auf recht wundersame Weise oftmals genau das entsprechende Gegenteil. In diesem Sinne erinnere ich mich dunkel an den Spruch meines alten Freundes Egon, der immer meinte: "Alles was durchsichtig ist schadet nicht!"

Schönefeld also! Natürlich kamen wir heute bereits in den Genuss der vor 3 Wochen auf die Schnelle beschlossenen neuen Preise für Übergepack. Eine Vorahnung gab es ja bereits schon auf unserer Südamerika-Rundreise, aber schließlich musste der 11.September ja schon für alles mögliche herhalten, warum nicht auch für die plumpe Bereicherungspolitik einiger "Billigfluglinien" unter dem Deckmantel "Sicherheit". Was war denn so unsicher am Transport von gemeingefährlichen Gütern wie einer Harfe und ein paar Dudelsäcken? Wahrscheinlich wollte auch Germanwings nur vom großen Kuchen ein kleines Stückchen abhaben und berechnete mal kurzerhand den stolzen Preis von 2996 EUR für die Mitnahme einiger Aluminiumkisten. Reisen wäre eben teurer geworden, Sicherheitsbestimmungen und so...

Moskau erwartete uns schließlich mit erträglichen 7 Grad minus, statt der vom Wetterbericht angedrohten minus 15 Grad, außerdem wartete bereits die Crew des Veranstalters Andrej mit laufendem Motor, die uns mit einem Bus ins Hotel bringen wollte. Auf dem Weg dorthin musste bereits kurz nach Verlassen des Flughafenzubringers ein kurzer Nothalt am nächsterreichbaren Supermarkt eingelegt werden. Es gab Wodka und ein paar Bier zum Nachspülen. So begrüßt man hier bei Mütterchen Russland standesgemäß seine Gäste, wobei Bier als Alkohol nicht wirklich mitgerechnet wird. Uns war es bei den Temperaturen natürlich recht...

Der Stadtplan von Moskau, eigentlich mit ein paar Ringstraßen und den entsprechenden Querverbindungen recht übersichtlich gehalten, stellte den Busfahrer vor schier unüberwindliche Probleme und das sollte auch den ganzen Abend noch so weiter gehen. Als wir schließlich das dritte mal an einem rot beleuchteten Supermarkt vorbei fuhren, meinte der Fahrer wir würden nun in spätestens 10 Minuten unser Ziel erreicht haben, was uns nach seinem etwas wirren Blick in den Stadtplan doch stark zweifeln ließ. Nach insgesamt zwei Stunden, inklusive einer schönen Stadtrundfahrt, landeten wir dann doch noch im Hotel, kurz duschen, dann kurzer Stopp in einem Restaurant und anschließend zu einer Autogrammstunde. Die nun folgenden 10 Kilometer zum Restaurant rissen wir in nur knapp 90 Minuten ab, was nicht an der Moskauer Rush Hour lag, denn schließlich hatten wir erst späten Samstagnachmittag. Unser busfahrendes Navigationsinstrument hatte jedoch schon wieder Schweißperlen auf der Stirn, uns war es zu diesem Zeitpunkt noch egal, denn wir hatten ja heute frei und gewissermaßen so etwas wie Urlaub.
Wie man hier standesgemäß seine Leute zu begrüßen wusste hatte ich ja bereits angedeutet. Das war hier im Restaurant, einem russischen Italiener (!!!) natürlich nicht anders. In sechsfacher Ausführung kam das Wässerchen an den Tisch und mit kleinen Gläsern wollte sich hier auch niemand mehr lange aufhalten. Tonmann Vadda fielen plötzlich alle schon verschüttet geglaubten Russischvokabeln wieder ein und er verständigte sich mit der bereits erheblich angeschlagenen Veranstaltercrew in deren Landesspache.

Dann ging es weiter zur Autogrammstunde. Die Antwort auf meine Frage, wie weit es denn nun noch wäre, übersetze ich mal großzügig mit "Gleich um die Ecke!", zudem waren wir schon eine Stunde über der Zeit und die Leute standen bei gefühlten 20 Grad minus schon eine ganze Weile sinnlos im Dunklen vor dem Plattenladen. Nach einer weiteren Stunde hatten wir es dann endlich geschafft und ich meinte auch den rot beleuchteten Supermarkt unterwegs mindestens drei Mal ausgemacht zu haben. Aber man kann sich ja auch täuschen. Anyway: Die wartenden Fans schien unsere verspätete Ankunft nicht weiter zu stören und wir unterschrieben auf mitgebrachten Postern, T-Shirts und CDs. Komischerweise hatten wir in Russland nie CDs herausgebracht... Egal, es gab durchaus lustige Editionen zu bestaunen wie "In Extremo - Sämtliche Werke!" inklusive aller Singles im praktischen mp3-Format. Mit Hologramm versteht sich! Was soll man machen? So ist eben Russland (und die Ukraine, Weißrussland, von Mexiko, Polen, Vietnam, China und Indonesien einmal ganz zu schweigen).

Dann sollte ja noch weiter gefeiert werden, denn wir wurden erneut in ein Restaurant eingeladen. Dieses Mal jedoch nicht in eine russische Pizzeria, sondern zu einem original russischem Spanier (!!!) Doch was allen Läden gleich war: Mehrere Flaschen Tralala wurden flugs herangekarrt und unsere Russischkenntnisse nahmen nun langsam exorbitante Formen an. Komisch was man sich alles doch noch so merken konnte...! Doch zuvor war natürlich noch ein kleiner Weg zurückzulegen mit dem Bus und unserem wandelndem Stadtplan. "Gleich um die Ecke!", hieß es nach der sechszigminütigen Karrenzzeit. Micha stieg an irgendeiner Ampelkreuzung entnervt aus dem Bus, schnappte sich ein Taxi und war 45 Minuten vor uns am vereinbarten Ort. Einen Tag später erfuhren wir, dass dieses der letzte Arbeitstag des Busfahrers gewesen wäre.

Vadda kriselte schon etwas. Unser bester Mann, auch genannt der "Feierclown", hatte eine Formschwäche, überspielte sie aber noch gekonnt mit mehreren hastig inhalierten Begrüßungsgetränken, bis plötzlich... na gut, ich darf hier keine Details preisgeben, es wurde jedenfalls noch sehr sehr lustig. Schlussendlich landeten wir im Hotel, setzten ihn in einen goldlackierten Gepäckwagen und fuhren mit ihm einmal quer durch die gesamte Lobby, sehr zur Freude der Anwesenden. Russland eben - bei soviel Gastfreundschaft sind natürlich auch die Folgen von zuviel Gastfreundschaftsgetränken gesellschaftlich völlig akzeptabel. Wodka gut für Tralala.

Musik gemacht wurde natürlich auch. Es war bereits unser zweites Konzert in Moskau. Nachdem wir im April 2006 den etwas kleineren Tochka-Club ausverkaufen konnten, spielten wir dieses Mal im wesentlich größerem B1/Maximum. In jeder Hinsicht ein imposanter Laden! Interessanterweise gab es hier ein Zwei-Schichten-System: Während das Parkett dem gemeinen Volk zugewiesen wurde, war die Empore (inklusiver weißer Ledercouches und persönlicher 1:1-Betreuung durch einen Kellner) der upper class vorbehalten. Kostenpunkt: 150 EUR.
Das Konzert selbst war großartig und wir hatten für den heutigen Abend sogar eine russische Pyrotechnikfirma mit am Start. Die Russen feierten die Band bereits eine ganze Stunde vor Konzertbeginn ausgiebigst, so dass wir die Stimmung eigentlich bloß noch übernehmen mussten. Lautstärke- und temperamenttechnisch waren die Russen den Südamerikanern mindestens ebenbürtig - wenn nicht sogar besser! Wer hätte das gedacht? Wodka gut für Tralala, aber hoffen wir mal dass die Band der ausschlaggebende Punkt für ein grandioses Konzert war!