Wollt'a wieda Begrüßungsjeld? - In Extremo am Tag der Deutschen Einheit

13.10.2008   Kay Lutter

Irgendwie hat man als Ostler ja ein gespaltenes Verhältnis zu Nationalfeiertagen aller Art. Die wenigsten von uns denken mit einer Träne im Knopfloch zurück an die alten Zeiten der Militärparaden, bei denen man grimmig dreinschauenden Männern in Fellmützen zuwinken sollte, die auf der Paradestrecke in der Karl-Marx-Allee mit steinernen Gesichtern dem Fußvolk zurückwinkten. Da ist der Tag der Deutschen Einheit heute schon deutlich entspannter, denn meist scheint die Sonne, man kann sich biertrinkenderweise irgendwo im Freien zur Ruhe setzen oder ein paar Dinge erledigen, für die man sonst keine Zeit hat. Schließlich müssen die Winterreifen noch aufgezogen werden und der Korb Bügelwäsche wartet seit Wochen ungeduldig im Schlafzimmer. Der Tag der Deutschen Einheit ist, wenn er günstig in der Woche liegt, eben ein Tag mehr Urlaub im Jahr. Und der ist, obwohl der Deutsche im Allgemeinen Neuerungen und Umstellungen nicht unbedingt positiv gegenübersteht, immer eine willkommene Abwechslung.
Umstellungen gab es in den vergangenen 19 Jahren eine ganze Menge: Zuallererst die Systemumstellung von Ost auf West, gefolgt von der ersten Währungsumstellung, wieder von Ost auf West, dann die Nationalfeiertagsumstellung vom 7. auf den 3. Oktober, gefolgt von einer neuerlichen Währungsumstellung von West auf Euro. Da freut sich insbesondere der umstellungsgewohnte Ostler, wenn plötzlich unverhofft Konstanten wieder auftauchen. Den Tag der Deutschen Einheit einfach 4 Tage vor den Tag der Republik zu legen, erscheint mir im Nachhinein auch nicht als die schlaueste Idee Helmut Kohls, aber vielleicht hatte er sich dabei ja auch etwas gedacht? Wer hatte denn im Ernst daran geglaubt, dass es in Deutschland noch jemals einen Nationalfeiertag gäbe an dem geflaggt würde - und das ausgerechnet in Rot! "Völker hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht!" oder "Ihr Völker der Welt: Schaut auf diese Stadt!" Wo ist da der Unterschied? Rot bleibt schließlich Rot, selber schuld, wenn man sich den Nationalfeiertag von Coca Cola sponsern lassen muss. "Coca Cola präsentiert das Fest zum Tag der Deutschen Einheit". Alle Achtung, auf die Idee wären nicht mal die Russen gekommen.
Wenn ich an unseren Nationalfeiertag denke, dann denke ich automatisch an Mike Lehmann, seinerzeit musizierender Fischfütterer beim seligen Sender ORB, der 1994 mit seiner genialen Coverversion von Scooters "Hyper! Hyper!" eindeutig punkten konnte.

Excuse me! Where is the bass drum?
We need the bass drum!

Konnte so viel Tiefgang noch getoppt werden? Es war kaum vorstellbar, denn wo Scooter in seiner letzten Strophe all die Westbams, Marushas und Hooligans dieser Welt intellektuell zu unterbieten versuchte, fasste Mike die Wiedervereinigung nebst all ihren Folgen in einen einzigen, dafür aber entscheidenden Satz zusammen:

"Wollt'a wieda Begrüßungsjeld?"

Doch heute, vierzehn Jahre später, war der Begrüßungsgeld-Dampfer natürlich längst abgefahren, es gab für die Künstler Essen und Getränke frei, ganz so wie früher - und natürlich Ruhm, und Ehre. Wie konnte ich das vergessen? Was tut man nicht alles um ins Fernsehen zu kommen? Doch ich greife vor. Um es kurz zu machen und um auch wieder etwas Sinn in diese Geschichte zu bekommen: In Extremo waren dazu auserkoren worden am Brandenburger Tor inmitten der Hauptstadt mit einem kulturellen Kurzbeitrag halbplayback zu glänzen, neben einer ganzen Reihe von Sternen und Sternchen. Und mit dabei waren natürlich meine Hyper! Hyper!-Heroes Scooter, dieses Mal sogar als Originalversion. Was würden sie heute bringen? Schnappi, das kleine Krokodil? Die Musik des Ostsandmännchens? Die Hände zum Himmel?

Is everybody on the floor?
We put some energy into this place!


Der Tag fing geradezu fürstlich an, die Sonne gab sich noch einmal alle erdenkliche Mühe und vier fette Audi-Limousinen rollten langsam in Richtung unseres Proberaumes um uns abzuholen - vier fette, schwarze Kisten mit breiten Reifen und Ingolstädter Kennzeichen, die hier im noch unsanierten Teil von Berlin-Prenzlauer Berg sichtlich fehl am Platze waren.
Wir waren im Vorfeld in unserer Meinung sehr gespalten, ob und vor allem warum wir an dieser Veranstaltung teilnehmen sollten, zumal die anderen angekündigten Showeinlagen eher auf ein Kasperletheater oder den berühmten "Strauß bunter Melodien" schließen ließen. Eitelkeit war also es nicht, vielmehr wohl die Tatsache, dass es für Bands im Allgemeinen ja eher selten Angebote gibt sich mit ihren Songs irgendwie im Fernsehen präsentieren zu können. Man konnte die Angebote in den vergangenen 10 Jahren an einer Hand abzählen, zumal Beiträge mit uns, wenn überhaupt, erst zu nachtschlafender Zeit auf den Dritten Programmen gesendet wurden. Ein Auftritt bei VIVA interaktiv lag gefühlte 25 Jahre zurück und bis auf die Einsätze bei Stefan Raab scheinen In Extremo nicht gerade fernsehkompatibel zu sein. Wie auch immer, wir trösteten uns damit, dass mit Oomph! auch noch eine anständige Band mit am Start war. Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid!
Wenig später ging es dann im Konvoi die Straße Unter den Linden entlang in Richtung Brandenburger Tor. Große Autos scheinen komischerweise immer noch für Aufsehen zu sorgen, denn vorrangig die Fahrer von tiefergelegten Golfs mit Insassen aus dem Brandenburger Umland kurbelten die Scheiben runter, grüßten wahllos in die Runde, versuchten hinter den verdunkelten Scheiben Dieter Bohlen oder die Bundeskanzlerin zu entdecken und fragten nach den Preisen der Innenausstattung. Dann standen wir vor dem Brandenburger Tor, welches durch einen Zaun abgesperrt war und an dessen hinterem Ende sich die Bühne befand. Bis hierher war es noch beeindruckend, denn wer konnte schon von sich behaupten, auf dem Weg von der Garderobe zum Cateringzelt immer direkt das Tor zu passieren?
Eine halbe Stunde später fanden wir uns in zivil auf der Bühne zur Generalprobe wieder. Eine organisatorische Meisterleistung von RTL II, denn das Auditorium war bereits voll besetzt und feierte und niemand außer den auftretenden Künstlern wusste was auf der Bühne gerade passierte. Um das Chaos perfekt zu machen, wurden zwischen den Proben Auftritte anderer Künstler mitgeschnitten, die im Fernsehprogramm später aus der Konserve eingestreut wurden. Ich schaute mir das Theater von unten an und bewunderte Sternchen wie Befour, die allen Ernstes "Die Hände zum Himmel!" zum Besten gaben, während die anderen 80 Prozent die Bühne mit einem zünftigen "Hallo Berlin!" betraten. Dem Einfallsreichtum waren keine Grenzen gesetzt, aber schließlich schien ja die Sonne und die Bierzapfer hinter den Tresen hatten alle Hände voll zu tun.

It's so beautiful to see your hands in the air!
Put your hands in the air!


Im Cateringzelt gab es natürlich noch kein Bier, wahrscheinlich um die auftretenden Künstler davon abzuhalten, sich Mut antrinken zu müssen. Doch vielleicht hätte sich ja so ein weiteres "Hallo Berlin" ersparen lassen. So nahm die Veranstaltung quasi ihren sozialistischen Gang und Leute wie Klee, Jennifer Rostock, Stefanie Heinzmann, Die Prinzen, Thomas Godoj und Loona betraten im Viertelstundentakt die Bühne. So gab sich die Band von Thomas Godoj auch nicht einmal mehr die Mühe wenigstens so zu tun als würden sie live spielen und hielten ihre Gitarren ohne Kabel in die Kameras, während ich mich bei Loona schon fragte warum die in einer Jury sitzt und andere beurteilt. Müssen denn nicht Jurymitglieder irgend etwas besser können als die Delinquenten?
Dann wurde es spannend, denn kurz vor unserem eigenen Auftritt standen wir bereits auf der Bühne und beobachteten die Kollegen von Scooter. Doch leider wurde es nichts mit meinem Song vom Begrüßungsgeld, stattdessen coverte man eine alte Gurke von Status Quo. Hut ab! Nicht nur dass Scooter die erfolgreichste deutsche Band im Ausland sind, die sind sogar die erfolgreichsten Zweitverwerter weltweit. Jedenfalls gebührt ihnen Dank für den Beweis, dass man mit Laptops Musik machen kann, zumindest irgendwie, je nach Sichtweise.
Dann waren wir an der Reihe. Rauf auf die Bühne, Augen zu und durch. Wir spielten "Frei zu sein" und den "Sängerkrieg" in einer jeweils für das Fernsehen gekürzten Drei-Minuten-Fassung. This is just a punk rock song, watt? Trotz Tempo erreichten wir den Werbeblock zu spät und wurden zum Ende hin abgewürgt, was zwar live niemand bemerkte, die uns wohlgesonnenen Fernsehzuschauer jedoch wohl nicht zu Freudensprüngen hinriss. Zu recht. Wir hatten uns jedenfalls beeilt und baden unsere Hände in Unschuld.

Wie es war? Ich habe keine Ahnung!